Dies ist der persönliche Teil des Wormatia-Archivs.
Für Notizen, kleinere Berichte und Gedanken im Rahmen der Recherche existierte von 2011 bis 2018 ein eigener Blog. Zunächst gehostet über blog.de, zog der „Rheintal-Blog“ später zu wordpress. Benannt war er nach dem „Gasthaus zum Rheintal“, einst das Vereinsheim des VfR Wormatia und Herberge des Vereinsarchivs. Das Rheintal wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und alle Unterlagen gingen unwiederbringlich verloren. Damit die interessantesten Blog-Beiträge, das Best Of sozusagen, nicht verloren gehen, sind sie nun hier zu lesen. Und vielleicht kommen ja auch doch noch mal neue dazu.
20 Fakten zum VfR Wormatia, die Sie (vielleicht) noch nicht kannten
Das berühmt berüchtigte Wormser Stadtmagazin WO! feierte 2015 sein 10-jähriges Jubiläum. Bereits seit einiger Zeit versuchte Chefredakteur Frank Fischer immer wieder mal, mich als (Gast-)Autor zu gewinnen. Regelmäßig winkte ich ab – hauptsächlich wegen Schreibfaulheit, ich fühlte mich aber auch nicht ganz wohl bei dem Gedanken, für ein Magazin zu schreiben, das öfter mal mit meinem Arbeitgeber im Clinch liegt.
Für das große Jubiläumsbuch mit eigenem Wormatia-Kapitel war es dann aber natürlich Ehrensache, einen Text beizusteuern. Irgendetwas mit kleinen interessanten Fakten hatte sich Frank gewünscht, ein Wormatia-ABC oder eine Art Top 10 auf einer Doppelseite. Heraus kam der Artikel: „20 Fakten zum VfR Wormatia, die Sie (vielleicht) noch nicht kannten“, den ich zwei Jahre später hier nun online stelle:
1. Die Gründungsgeschichte kann ein wenig unübersichtlich sein.
Basiswissen: Der VfR Wormatia ging 1922 hervor aus einer Fusion des FV Wormatia und des VfR 08.
Für Fortgeschrittene: Die vier „Gründungsväter“ waren SC Wormatia 08, FC Teutonia, FC Union und Viktoria 1912.
Profiwissen: 1938 trat Alemannia Worms bei und ab 1939 firmierte der Verein als Reichsbahn TSV Wormatia. Jahrzehntelang vergessen und erst kürzlich wieder bekannt ist allerdings der FC Emden 1914. Benannt nach einem 1914 versenkten weltbekannten Kreuzer der Kaiserlichen Marine, der SMS Emden, existierte der kleine Club nur ein halbes Jahr und schloss sich im August 1915 dem FV Wormatia an. Wormatias „1b“ trug danach den Beinamen „Emdenmannschaft“.
2. Was jeder wissen sollte: Wormatia ist die lateinische Variante von „Worms“. Und offiziell firmierte der Verein lange nur als „VfR Wormatia 08“. Vor Jahren belustigte in einem Internetforum allerdings ein gegnerischer Fan mit der Behauptung, die Wormatia habe gar keine Tradition, sondern sei ein schnöder Werksclub wie Bayer Leverkusen. Er hatte da nämlich eine Mühle namens „Wormatia“ entdeckt, die um die Jahrhundertwende herum Pfeffer produzierte. Der VfR sei daher ganz klar deren Betriebsmannschaft. Die schöne Theorie wäre ins Wanken geraten, hätte der junge Mann noch etwas weiter recherchiert. Dann wäre er vielleicht auf die Zigarettenmarke „Wormatia“ gestoßen, den gleichnamigen patentierten Hemdkragen, einen Fesselballon, ein Schuhgeschäft und eine Radrennbahn. Damals waren die Wormser eben sehr lokalpatriotisch.
3. Zum Fußball gehören Emotionen und Rivalitäten. Der heutige Wormatia-Fan denkt bei letzterem wohl an Eintracht Trier, Mainz 05 oder den FCK. Der früheste Rivale allerdings war, neben Alemannia Worms, der SV Wiesbaden. Eine derart herzliche Abneigung verband die beiden Clubs in den 20er Jahren, dass die Presse die Wiesbadener sogar als „Erbfeind“ bezeichnete. Da flogen in Worms auch schonmal Steine auf die Autos der angereisten Anhänger des „feudalen Sportvereins“ aus der Großstadt und in Wiesbaden fing sich erst der Schiri und dann die Wormser Mannschaft Prügel der ansässigen Zuschauer. Ähnlich unwillkommen waren die Wormaten auch damals schon in Mainz und ganz besonders in Griesheim.
4. Nicht unwahrscheinlich, dass damals schon den Wormaten ein herzliches „dreggischer Bachbutzer“ entgegen geschleudert wurde. Heute positiv genutzt, ist vielen die Herkunft des Begriffs nicht mehr bekannt. Damals arbeiteten rund zwei Drittel der Vereinsmitglieder Wormatias bei den Heyl’schen Lederwerken. Dort wurden die schlammigen, stinkenden Abwässer der Gerberei über die Eisbach in den Rhein geleitet. Und so kam einigen die nicht gerade angesehene Aufgabe zu, regelmäßig Abwasserkanal und Eisbach von den Rückständen zu reinigen.
5. Acht Verbandspokalsiege hat der VfR Wormatia angesammelt, drei Mal unterlag man im Finale. So richtig zu zählen scheinen dabei aber nur die Südwestpokalsiege. Dass Wormatia auch zweifacher Hessenpokalsieger ist, wird gerne unter den Tisch fallen gelassen. Der erste Titel wurde 1921 geholt mit einem 2:0-Sieg gegen den FV Biebrich, ausgerechnet auf dem Platz von Mainz 05. Publikum und Schiri waren nicht wohlgesonnen und so holte Wormatia nach zwei Platzverweisen und einer zerissenen Hose (!) den Pokal am Ende mit acht Mann.
6. Apropos Siege – der höchste Sieg der Vereinsgeschichte war ein 15:0 im Heimspiel gegen den FV Engers am 26. Februar 1950. Nur 1.000 Zuschauer waren Zeuge und sahen unter anderem je vier Tore von Helmut Müller und Fritz Hammer. Der höchste Auswärtssieg ist ganze hundert Jahre her, ein 10:0 am 26. September 1915 bei FuLTC Worms (Fußball und Lawn-Tennis-Club).
7. Wo es Rekordsiege gibt, sind auch Rekordniederlagen. Die höchste Niederlage war ein 0:10 – bei Kickers Offenbach (1943), auf dem Betze gegen den FCK (1947) und beim FSV Salmrohr (12. November 1983). Wobei sich Wally Günther („Ich hatte noch gar keinen Ballkontakt, da stand’s schon 0:2“) heute nicht sicher ist, ob man in Salmrohr nicht sogar elf Stück kassiert hat.
8. Wally Günther hält allerdings auch einen angenehmen persönlichen Rekord. Mit satten 460 Spielen [Korrektur 2017: 464] kann er die meisten Einsätze für Wormatia vorweisen, einen [fünf] mehr als Heiner Schmieh. Die meisten Tore hat ein Vorkriegsbomber erzielt, so viel steht fest. Allerdings fehlen gerade aus den 30er Jahren einige Daten. Wer sich die Torjägerkrone aufsetzen darf, wird sich erst nach weiteren Recherchen herausstellen. Beste Chancen haben Willi Winkler (mind. 168 [182] Tore) und Ludwig Müller (mind. 160 [165] Tore), auch Seppl Fath (mind. 62 Tore) ist noch nicht ganz aus dem Rennen.
9. Ein beliebtes Streitthema unter Fans ist immer die Trikotfarbe. Als vor Jahren erstmals auswärts Hauptsponsor-Blau getragen wurde, gab es erwartungsgemäßes Naserümpfen. Dabei war diese Entscheidung unfreiwillig traditionsbewusst, firmierte der FV Wormatia vor 1923 doch als „die Blauen“ in den Spielberichten. Nach der Fusion im gleichen Jahr waren dann Schwarz und Weiß die Farben Wormatias, bis der Verband 1929 Schwarz für die Schiedsrichter reservierte. Erst danach kam das heute noch gebräuchliche Rot zur Anwendung.
10. Jahrzehntelang pilgerten die Zuschauer ins Wormatia-Stadion, bis 2011 der Stadionname in EWR-Arena Worms geändert wurde. Aber stimmt es denn tatsächlich, dass bis in die Neunziger Jahre hinein unbewusster, aber offizieller Weise in der Adolf-Hitler-Kampfbahn gespielt wurde? Nun, ursprünglich hatte das 1927/28 erbaute Stadion keinen „offiziellen“ Namen. Spielte der VfR vorher auf dem „Wormatia-Sportplatz“, spielte er nun eben im „Wormatia-Stadion“. 1933 allerdings benannte der Vorstand im Rausch der nationalsozialistischen Machtübernahme das damals noch vereinseigene Stadion tatsächlich entsprechend um. Was jedoch von der Bevölkerung und nicht mal seitens der NSDAP konsequent verinnerlicht wurde. Nach dem Krieg, nun städtisch, kehrte man zum gewohnten Namen zurück. Irgendeinen Beschluss des Stadtrates gab es dazu allerdings nicht. Auch nicht 1954, als der Verein die Umbenennung in „Hans-Stein-Stadion“ beantragte, nach einem verstorbenen Vorstandsmitglied. Festgelegt wurde der Name erst in den Neunzigern, um den Streit zwischen Wormatia und Zweitnutzer TSG Pfeddersheim zu schlichten, ob es denn offiziell „Wormatia-Stadion“ oder „Stadion an der Alzeyer Straße“ heiße.
11. Ein Überbleibsel aus der Nazizeit sind allerdings die Kurven Nord und Süd, deren heute gesperrte Stehstufen beim Umbau 1939 gegossen wurden. Auch die Parkplätze vor dem Stadion und das Schwimmbad gehörten zum Plan der NSDAP, auch wenn beides erst in den Sechzigern realisiert wurde. Außerdem hätte es Tennisplätze, Schießstand und Aufmarschstraße geben sollen. Die damals gebaute Haupttribüne war bis 1985 in Benutzung, deren Holzaufbau übrigens noch von der allerersten Tribüne aus dem Jahre 1928 stammte.
12. Heute steht das einst prächtige Kriegerdenkmal etwas lieblos in der Böschung der Kurve. Eingeweiht wurde es zu Ehren der im Ersten Weltkrieg Gefallenen im Rahmen des 20jährigen Vereinsjubiläums am 5. August 1928 – und zwar mit Posaunenchor, Gesangsquartett, feierlicher Weihe und einem Freundschaftsspiel gegen den VfB Leipzig. Ursprünglich zentral hinter dem Tor gelegen, gehörten noch zwei Freitreppen auf beiden Seiten dazu, sodass die ganze Denkmalanlage einst 20 Meter breit war. In der Mitte ein Block mit den eingravierten Namen der gefallenen Vereinsmitglieder, auf dem sich das befand, was heute noch übrig ist: „Ein Sockel, der wiederum einen Fußball von 1,20 Mtr. Durchmesser trägt. Der Sockel besteht aus einem kleinen, zweistufigen Unterbau und einem achteckigen Prisma, das auf vier Seiten von schräg stehenden Pfeilern flankiert wird.“
13. Das Denkmal ist allerdings nicht der älteste Teil des Stadiongeländes. Das Clubhaus stand schon dort, als 1924 die dem Stadion vorhergehende „Wormatia“-Radrennbahn (keinerlei Bezug zum VfR) erbaut wurde. Davor befand sich an dieser Stelle ein Kriegsgefangenenlager des Ersten Weltkriegs für bis zu 2.000 Insassen. Stacheldraht und Baracken wurden Anfang der Zwanziger Jahre entfernt, das Dienstgebäude des Kommandanten blieb aber bestehen – und dient heute als Clubhaus.
14. Hinter dem Clubhaus befinden sich zwei Nebenplätze und ein Kleinspielfeld. Der Kunstrasenplatz feiert nächstes Jahr [2016] seinen zehnten Geburtstag, zuvor wurde dort jahrzehntelang auf Asche gekickt. Genauer gesagt seit 1949, denn in diesem Jahr wurde der Platz hergerichtet. Und wie hat man damals diesen Trainings-Hartplatz eingeweiht? Sekt, warme Worte und ein Testkick gegen die Stadtauswahl vielleicht? Nein, mit einem Freundschaftsspiel gegen Schalke 04 vor 8.000 Zuschauern, das Wormatia mit 3:0 gewann. Andere Zeiten.
15. Die Älteren werden sich erinnern, bis 1962 befand sich der Eingang zum Stadiongelände direkt an der Alzeyer Straße. Durch einen großen Eingangsbogen gelangte man auf den heutigen Parkplatz, wo sich damals noch die Kassenhäuschen und eine Wiese befanden. Und zwischen Stadion und Kassenbereich stand noch immer die alte Nordkurve von 1928, die zwar keine Funktion mehr hatte, aber eben immer noch das Kriegerdenkmal mit zwei Freitreppen beherbergte.
16. Mittlerweile eine beliebte Quizfrage – die Trikotwerbung. Es soll ja immer noch den ein oder anderen geben, der glaubt, bei Eintracht Braunschweig habe Jägermeister 1973 die Werbung auf der Spielkleidung eingeführt. Irrtum, Vorreiter in Sachen Kommerzialisierung waren bereits 1967 unsere Wormaten. „CAT“ prangte auf der Brust, das ausgeschriebene „Caterpillar“ auf dem Rücken. 5.000 Mark gabs dafür vom amerikanischen Baumaschinenhersteller, was zwar nicht verboten, aber eben auch nicht ausdrücklich erlaubt war. Nach zwei Wochen entschied der DFB jedoch, dass so etwas dem Ansehen des Sports schade und verbot fortan derartige Werbung in der Satzung. „Sportkleidung kann kein guter Werbeträger sein“, wusste schließlich damals schon der Trierische Volksfreund…
17. Einen ewigen Zuschauerrekord gab es im Heimspiel gegen den FCK im April 1950. 30.000 Zuschauer strömten ins Stadion, das nur dank Zusatztribünen und damals niedriger Sicherheitsstandards genügend Platz bot. Die Saison 1949/50 hält daher mit 6.231 Besuchern pro Spiel auch den höchsten Zuschauerschnitt. Die wenigsten kamen nicht etwa in der Verbandsliga, sondern in der Oberliga-Saison 2004/05 als man immerhin Achter wurde, aber die tollen dritten Plätze der beiden Vorsaisons nicht bestätigen konnte. 200 Zuschauer gegen Halberg-Brebach, als es um nichts mehr ging, sind Nachkriegs-Minusrekord.
18. Wenn der Rekord-Schnitt bei gut 6.200 liegt, waren die 7.000 Zuschauer, mit denen man für der ersten Zweitliga-Saison 1974/75 kalkulierte, ziemlich mutig. Tatsächlich kamen nur etwas mehr als 4.000, was ein großes Loch in die Kasse riss und am Ende den Lizenzentzug bedeutete. Unerheblich im Rückblick, da man es sportlich sowieso nicht schaffte. Die Stadtverwaltung hatte den VfR schon im März aufgegeben: „Die Wormatia ist abstiegsbedroht. Angesichts dieser Situation wird auf die weitere Bearbeitung meines Antrags keinen Wert mehr gelegt.“, stoppte Beigeordneter Pfister damals die Planung für eine lizenznotwendige Flutlichtanlage.
19. Die Sache mit der Lizenz war auch 1985/86 ein Problem. Gerade Südwestmeister geworden, durfte Wormatia nicht an der Aufstiegsrunde zur 2. Bundesliga teilnehmen, weil der Vorstand beim Lizenzantrag geschludert hatte. Unter anderem hatte man es versäumt, fristgerecht eine bestimmte Geldreserve nachzuweisen. Um das nachzuholen, stopfte man kurzerhand 100.000 Mark in einen Koffer und fuhr nach Frankfurt zum DFB. Dort platzte man in eine Sitzung der Funktionäre, packte den Koffer auf den Tisch und versuchte mit den Worten „Alla Ihr Buuwe, driggen mol e Aach zu.“ die Lizenz zu retten. Vergeblich.
20. Viele dürften noch das weiße Traditionstrikot mit Schnürung und dem roten Kragen im Schrank haben. Als es 2008 produziert wurde, nahm man ein nachkoloriertes Zeitungsfoto mit Zweikampfszene aus den 30er Jahren als Vorlage. Dummerweise war der abgebildete Spieler im weißen Trikot aber gar kein Wormate, sondern dessen Gegenspieler. Was also damals reproduziert wurde, war gar kein historisches Wormatia-Trikot, sondern das des Gegners – Mainz 05…
Im Rheintalblog veröffentlicht am 08.05.2017
Making of: Vollständige Digitalisierung der Stadionzeitung
Es war einer meiner ältesten Pläne für das Wormatia-Archiv und nun ist es endlich geschafft: Die Digitalisierung aller Stadionzeitungen. Insgesamt 646 Hefte, 21.664 Seiten, 6 Gigabyte, 6 Monate Arbeit. Ein solches vom Aufwand her noch größeres Projekt als die Chronik (work in progress) verdient einen Beitrag im Blog, dachte ich mir. Hier also für den interessierten Leser das „Making of“!
Seit Mitte der Neunziger habe ich die Hefte nach dem Stadionbesuch aufgehoben, ältere Ausgaben bei ebay erstanden oder dank hilfsbereiter Fans Kellerfunde vor der Altpapiertonne gerettet. Fein säuberlich in Klarsichthüllen und schwarze Ikea-Kartons verpackt, stehen sie auf dem Wohnzimmerschrank.
Ein lange gehegter Gedanke: Wäre das nicht toll, wenn man die alle eingescannt als durchsuchbare PDF hätte? Für die jüngsten Jahre kein Problem, die Dateien lagen fix und fertig auf den Festplatten der Druckerei und nach freundlicher Nachfrage kurze Zeit später auch auf meiner. Für die Zeit von 1977 bis 2009 aber müsste ich schon selber ran… Vor zwei Jahren glaube ich, während meines Urlaubs, hatte ich testweise einfach mal mit dem allerersten Jahrgang 1977/78 angefangen. 18 Hefte in DIN A5 mit jeweils acht Doppelseiten waren einzuscannen und daraus mit kostenlosen Tools entsprechende PDFs zu basteln. Ein ziemlicher Aufwand, und wenn nach ein paar Ausgaben der „Scan-Arm“ anfängt zu schmerzen, auch nicht mehr sonderlich spaßig. Aber wenn man sich ab und zu mal hinsetzt, langfristig durchaus machbar. Wie (zeit-)aufwändig dies angesichts knapp 500 noch zu scannender Hefte tatsächlich wäre, wollte ich in der letzten Sommerpause mal genauer herausfinden.
Die ältesten DIN A5-Hefte waren noch recht dünn, die erwähnten acht Doppelseiten in einer Viertelstunde gescannt und als jpg abgespeichert. Dazu noch das Erstellen der PDF, Hochladen der Datei, Eintrag auf der Homepage – mit einer halben Stunde Aufwand pro Heft musste ich kalkulieren. Allerdings sind diese ja im Laufe der Jahre immer dicker und aus acht irgendwann vierzig Doppelseiten geworden. Der Gedanke an mehr als eine Stunde durchgehend am Scanner für ein einziges Heft war wirklich nicht motivierend. Aber selbst wenn es pro Stück nur die erwähnte halbe Stunde Aufwand wäre… bei rund 500 Heften kommt was zusammen. Wenn ich zwischen Spielberichten, Homepagepflege und all den anderen Dingen noch Lust hätte, mich ohne Auszeit jeden Sonntag für drei Stunden an den Scanner zu setzen, dann bräuchte ich für alles anderthalb Jahre. Mindestens. Halbwegs realistisch erschienen mir da eher drei Jahre.
Mir wurde klar – so wird das nie was. Der Scanvorgang musste irgendwie delegiert werden; hinterher überprüfen und verarbeiten sollte dann zu schaffen sein. Ich überlegte mir eine finanzielle Schmerzgrenze für einen solchen Auftrag mit geschätzt 10.000 Seiten. Könnte ich mir ja selbst zu Weihnachten schenken oder Spenden sammeln, was man sich halt so für Rechtfertigungen einfallen lässt, wenn verständnislose Blicke von Freundin und Familie drohen…. Nach den ersten Recherchen und Anfragen sah es eher ernüchternd aus, aber dann fand ich den wirklich überaus günstigen „german dataservice“ aus Bad Salzdetfurth. Testweise schickte ich den Jahrgang 1980/81 hin, verbunden mit dem Wunsch nach nicht allzu großen Dateien, ich wollte ja nicht unseren Server mit 50 GB zuballern. Das Ergebnis sah gut aus – fertige PDFs mit Texterkennung! Allerdings schwarz-weiß. Zumindest das Titelbild mit der roten Wormatia-Sonne hätte ich gerne in Farbe gehabt. Und dann müssten die scanbedingten Leerseiten raus. Und diese eine Seite war ungünstig abgeschnitten. Das kam wohl doch etwas zu perfektionistisch rüber, denn verbunden mit der fitzeligen Scan- bzw. Sortierarbeit – die Hefte damals waren nicht geklammert, die Doppelseiten nur ineinander gelegt – hatte der Firmeninhaber angesichts des drohenden Aufwands kein allzu großes Interesse mehr an den restlichen Jahrgängen…
Daran wollte ich das Projekt nun aber wirklich nicht scheitern lassen. Ich vereinbarte, zumindest die am heimischen PC nur schlecht zu scannenden, aber immerhin geklammerten A4-Jahrgänge aus den letzten Amateur-Oberligajahren um 1990 herum zu beauftragen, um anschließend mal weiterzusehen. Ich investierte in ein 30 Euro teures Update meines PDF-Programms, so konnte ich die Leerseiten selbst entfernen oder fehlerhafte Seiten selbst ersetzen (aus heutiger Sicht: Warum nur hab ich all die Jahre mit eingeschränkten kostenlosen Versionen herumgewurstelt?). Auch diese Jahrgänge brachten ein gutes Ergebnis (mit farbiger Titelseite!) und ich konnte zu meiner Freude eine dritte Sendung nach Bad Salzdetfurth schicken, den 20kg schweren Rest. Die vier übrigen ungeklammerten und daher besonders aufwändigen Jahrgänge übernahm ich selbst, dafür legte ich die noch nicht digitalisierten „Wormatia kommt“-Ausgaben mit ins Paket.
Während ich die Ergebnisse der ersten beiden Lieferungen noch vom Firmenserver herunterladen konnte, erreichte mich der große Rest auf einem USB-Stick. Blöderweise waren die hunderten Einzel-PDFs darauf allesamt fehlerhaft. Ich schob es auf meinen wählerischen Laptop, vielleicht hatte auch der Stick eine Macke. Weil sich aber das ebenfalls auf dem Stick gespeicherte Rohmaterial, verpackt in drei tausende Seiten große PDFs, als fehlerfrei entpuppte, fackelte ich nicht lange und teilte dieses kurzerhand selbst in neue funktionierende Einzeldateien auf. Das kostete mich zwar ein ganzes Wochenende, dafür konnte ich aber auch gleich die Vollständigkeit überprüfen und mich ins PDF-Programm einarbeiten.
Als Anfang Dezember alle Hefte wieder bei mir eintrudelten, ging die Arbeit los. Wenn ich mir schon den Aufwand mache, dann wollte ich nur geprüfte und korrekte Dateien hochladen. Also: Jede einzelne PDF mit der jeweiligen Stadionzeitung abgleichen. Stimmt die Reihenfolge der Seiten? Fehlt etwas? Gibt es Scanfehler? Leere oder doppelte Seiten? Jede einzelne der mehr als 10.000 Seiten wollte gesichtet und alles (mich) störende korrigiert werden. Bei einer Hand voll Hefte war eine Doppelseite überblättert worden und ein paar Seiten fehlerhaft – zu 99% war aber alles in Ordnung und das eine Prozent recht schnell repariert. Weil mein Perfektionismus sich meldete, korrigierte ich aber auch den durch die automatische Seitentrennung nicht immer optimal erfolgten Zuschnitt und scannte auch Seiten mit zu starkem Kontrast nochmal neu. Winterpause, Urlaub – nach rund drei Wochen war ich mit der Kontrolle durch. Anschließend lud ich Jahrgang für Jahrgang auf unseren Server, erstellte Übersichtsseiten für die Homepage, verlinkte die Dateien fein säuberlich, wies fehlende oder nie erschienene Ausgaben aus und fasste die Geschichte unserer Stadionzeitung zusammen. Als letztes scannte ich den noch fehlenden Jahrgang 1984/85 sowie ein paar Einzelhefte und Anfang Februar war ich nach ungefähr 50 Arbeitsstunden endlich mit allem fertig.
Besonders gefreut habe ich mich über die Unterstützung des Vereins, die beileibe nicht selbstverständlich ist. Marketing-Vorstand Gert Bickel hatte mir schon letztes Jahr eine Teilfinanzierung meines Vorhabens zugesichert. Umso größer meine Freude, dass der Verein am Ende die Rechnung komplett übernommen hat. Ich verstehe das als klare Wertschätzung meines ehrenamtlichen Engagements und sage an dieser Stelle nochmal ein herzliches Dankeschön!
Als Ergebnis steht nun ein komplettes Online-Archiv der vereinseigenen Stadionzeitung, was ziemlich einzigartig sein dürfte in Deutschland. Zumindest bei den mir bekannten guten Archiven habe ich derartiges nicht gefunden. Das von Eintracht Frankfurt ist am dichtesten dran, hat aber nur die Titelseiten im Angebot. Neben den ausführlichen Datenbanken also ein weiteres Alleinstellungsmerkmal des Wormatia-Archivs, das ohne falsche Bescheidenheit zu den umfangreichsten Online-Archiven des deutschen Vereinsfußballs zählt.
P.S.: Fehlende Ausgaben habe ich extra mit „Ausgabe fehlt“ dargestellt, damit ich nen Überblick habe, wonach ich bei ebay noch suchen muss, um die Sammlung zu komplettieren. Und wenn der ein oder andere Leser davon noch was im Schrank, Keller oder Dachboden hat, würde ich mich über eine Nachricht freuen!
Im Rheintal-Blog veröffentlicht am 05.02.2017
Wormatia im Zeitspiel-Magazin
Ein heißer Tipp für alle Freunde des Fußballs unterhalb der zweiten Liga ist ZEITSPIEL, das „Magazin für Fußball-Zeitgeschichte“ von Hardy Grüne und Frank Willig – nur einzeln oder im Abo erhältlich über die Homepage. Als Fan seit der formidablen Erstausgabe und Besitzer einiger seiner Bücher war es natürlich Ehrensache, einer Anfrage von Hardy Grüne nachzukommen und einen kleinen Artikel über unsere Wormatia für die Rubrik „Fankurve“ beizusteuern. Der Anlass dafür war übrigens recht kurios: Auf dem Heimweg aus Frankreich hatte Grüne die Wahl zwischen Hoffenheim gegen Schalke oder Wormatia gegen Neckarelz und entschied sich als neutraler Beobachter für die nicht gerade offensichtliche Wahl.
Nachfolgender Artikel erschien also in der Ausgabe 5 im Juli 2016, wodurch übrigens der Blick aus der Gegengerade drei Monate lang die Homepage des Magazins zierte.
Fankurve: VfR Wormatia 08 Worms
Wormatia Worms ist einer dieser Fälle, bei denen die halbe Stadt Kopf steht, wenn es gut läuft, der dann aber auch die halbe Stadt gleich wieder desinteressiert den Rücken zuwendet, wenn es mal nicht so läuft. Gerne spricht man in diesem Zusammenhang vom „Schlafenden Riesen“.
Aktuell sieht man sich im schwierigen Spannungsfeld zwischen den Profiklubs aus Frankfurt, Darmstadt, Kaiserslautern und vor allem Mainz, strömten trotz der attraktiv besetzten Regionalliga Südwest in der abgelaufenen Saison durchschnittlich lediglich 930 Zuschauer ins innenstadtnahe Wormatia-Stadion. Vielleicht lag es ja daran, dass die Wormatia weitestgehend zwischen Gut und Böse pendelte und am Ende Neunter wurde.
Die organisierte Fanszene wird dominiert von den „Supporters Worms 1997“ („Sups“), der ersten und einzigen Ultra-Gruppierung des Vereins. In den letzten Jahren ist es etwas ruhiger geworden auf den Rängen, was einerseits an einem sich vollziehenden Generationenwechsel innerhalb der Szene liegen dürfte, andererseits aber auch am meist eher durchschnittlichen sportlichen Abschneiden in der Regionalliga. Beheimatet ist Wormatias Szene seit Anfang der 1990er-Jahre auf der Vortribüne. Nach dem Aufstieg 2008 in die Regionalliga und dem Umbau der Stehgeraden zu Sitzplätzen wurde sie zunächst auf die Gegengerade vertrieben. Nachdem dies jedoch der Atmosphäre (und auch dem Umsatz im Clubheim) spürbar schadete, durften die Fans wieder an ihren angestammten Platz zurückkehren und bilden seitdem wieder einen Puffer zwischen heimischer Trainerbank und der nicht selten nörgeligen Haupttribüne.
Im Kern ist die betont unpolitische Fanszene eher links anzusiedeln. Viele Banner und Fahnen der Supporters ziert das Konterfei von Bud Spencer, jüngst verstorbener politisch unverdächtiger Jugendheld. Umso größer waren Unverständnis und Empörung im Verein, als die Lokalpresse in einer großen Bud-Spencer-Fahne wegen Farb- und Mustergestaltung eine codierte Naziflagge ausgemacht haben wollte. Inspiration hatte sich die übereifrige Journalistin bei einem hitzigen Diskussionsforum zum Thema einige Wochen zuvor geholt. Als Ergebnis tauchten beim nächsten Heimspiel seit Jahren nicht gesehene, neugierige NPD-Gesichter auf, die allerdings unsanft von der Vortribüne entfernt wurden.
Als gewaltorientiert ist die Fanszene nicht bekannt, man weiß sich allerdings durchaus zu wehren. Das gilt insbesondere auswärts, wenn es gegen Rivalen wie Eintracht Trier oder den FC Homburg geht. Im Falle von Trier spielt seit jeher auch die Frage um den Titel der ältesten Stadt Deutschlands eine Rolle, welchen (unter anderem) Trier und Worms für sich beanspruchen. Teils herzliche Abneigungen gibt es auch zum 1. FC Kaiserslautern, Mainz 05, dem 1. FC Saarbrücken sowie den Stuttgarter Kickers. Eine Fanfreundschaft besteht zu den Ultras von Waldhof Mannheim. Aktuell entwickeln sich zudem Kontakte zum St Albans City FC aus der englischen Partnerstadt St Albans.
Im Rheintalblog veröffentlicht am 25.02.2017
Der vergessene Verein: Fußballklub Emden 1914 Worms
Ich dachte eigentlich, es könnte mich nur noch wenig überraschen, was die Wormatia-Geschichte angeht. Intensive Recherche hat Licht ins Vorkriegsdunkel gebracht, wie z.B. die Gegebenheiten im Dritten Reich rund um die Fusion zum RTSV Wormatia. Ein dunkles Loch bleiben bislang nur noch die Anfangs- und Kriegsjahre von 1908 bis 1919. Unbekanntes kann eigentlich nur noch dort schlummern. Glücklicherweise veröffentlicht das Stadtarchiv im Zuge des Weltkriegsjubiläums die Kriegsjahrgänge der WZ als PDF. Erschienen sind bislang die Jahre 1914 und 1915. So klappt die Recherche bequem vom heimischen Sofa aus und ich muss mich dort nicht mehr stundenlang vor das ermüdend monoton summende Lesegerät setzen. Einige Jahrgänge der Zeitschrift „Fußball“ bieten zudem sehr vertiefende Infos.
Beim Scrollen durch über 2.000 Zeitungseiten lichtet sich nun teilweise der Nebel der Fußballjahre 1914 und 1915. Die Infos sind spärlich, aber umso größer ist die Freude, wenn mir das ein oder andere Testspiel-Ergebnis in die Hände fällt (der Punktspielbetrieb ruhte kriegsbedingt). Etwas fremd wirken die Gegner: Union Mundenheim, Viktoria Feudenheim, Hertha Mannheim oder der sperrig benamte Fußball- und Lawn-Tennisklub Worms. Auf letzteren trafen die Wormaten erstmals am 9. Juli 1915. 20 Pfennig Eintritt (entspricht heute etwa 70 Cent) kostete die Begegnung im Kasernenhof (Prinz-Carl-Anlage), ein Benefizspiel zu Gunsten des Roten Kreuzes. Das „Rückspiel“ bot etwas Diskussionsstoff, daraus mache ich noch einen Extra-Beitrag… Und dann stieß ich auf den Fußballklub Emden 1914 Worms.
Von diesem hatte ich erstmals Anfang 2012 gehört, als ein Fußballhistoriker-Kollege mich nach der Existenz dieses seltsamen Vereins fragte. Völlig unbekannt war mir dieser und wir einigten uns darauf, dass es den „FC Emden Worms“ bestimmt gegeben haben mag – was auch immer es damit auf sich hat. Danach las oder hörte ich nie wieder etwas dazu. Bis jetzt.
Am 8. April 1915 wird von einem „Fußballwettspiel“ des „erst kürzlich gegründeten jüngsten Wormser Fußballklub Emden“ berichtet. 11:1 siegte die „jugendliche Emdenmannschaft“ gegen Palatia Ludwigshafen. Ich erinnere mich wieder an die Frage von damals, mache mir Notizen für den Kollegen und achte mit einem Auge auf weitere Infos. Auch in den Folgewochen ist immer wieder mal von dieser Mannschaft die Rede, die offenbar Spaß am Fußball hat und reihenweise Freundschaftsspiele gewinnt. „Man wünscht der jungen Wormser Mannschaft allgemein sehr viel Glück zu ihrem weiteren Bestehen, damit der ehrenvolle Name lange Zeit in der Wormser Fußballchronik erhalten bleibt.“, schließt der Bericht. Doch was hat es denn mit dem „ehrenvollen Namen“ auf sich?
Pate stand in der kriegsbegeisterten Zeit ganz offensichtlich die SMS Emden. Der kleine Kreuzer der Kaiserlichen Marine ging 1908 vom Stapel, versenkte zwei Dutzend feindliche Schiffe und wurde als eines der auch international bekanntesten Schiffe des 1. Weltkriegs im November 1914 versenkt. Nochmal wahrscheinlicher wird diese These, wenn man bedenkt, dass die SMS Emden in Ostasien im Einsatz war. Ihr Stützpunkt war Qingdao (Tsingtau) an der chinesischen Ostküste, die Hauptstadt des deutschen Pachtgebietes Jiāozhōu. Letzteres war eingedeutscht als „Kiautschou“ bekannt – und spätestens jetzt sollten eigentlich jedem Wormser die Ohren klingeln.
Vereinsheim von Emden Worms war offenbar das Lokal „Alter Fritz“ in der Steinstraße 22, jedenfalls fand dort am 21.08.1915 die Generalversammlung des Vereins statt. Warum ich das alles schreibe und mich eingehend mit einem Fußballverein beschäftige, den absolut niemand kennt? Weil vier Tage nach der Generalversammlung eine Meldung erscheint, die meinen Pulsschlag beim Lesen in die Höhe trieb! Da steht, mit Datum vom 24.08.1915, ganz beiläufig im Anschluss an einen Bericht vom 10:0 Wormatias gegen FG Schifferstadt folgendes:
„Ein jeder Wormser Sportfreund kennt den spielstarken Fußballklub Emden. Verraten wollen wir nun, daß sich dieser Verein dem Fußballverein Wormatia angeschlossen hat. Durch diesen Zusammenschluß ist es Wormatia möglich, 4 Mannschaften ins Feld zu stellen. Es ist dies ein großer Vorteil für Worms, denn Wormatia nimmt einen der ersten Plätze im ganzen Mittelrheingau ein. Durch Spiele mit größeren Ligavereinen wird Wormatia zeigen, daß sie jedem gewachsen ist. […] Erwähnen wollen wir noch, daß die 2. Mannschaft unseres Vereins in Zukunft den Beinamen „Emdenmannschaft“ trägt.“
Die große Fusion 1922 mit dem VfR gehört zum Standardwissen des Wormatiafans, auch die vier Ursprungsvereine SC Wormatia, Teutonia, Viktoria und Union sind bekannt. Die RTSV-Episode wurde nach dem Krieg verdrängt und vom Übertritt der Alemannia wird nicht jeder gehört haben. Aber diese paar oben zitierten Zeilen belegen nun einen Teil Vereinsgeschichte, der nirgendwo sonst erwähnt wird (nicht mal in der Festschrift von 1928) und auch Experten vollständig unbekannt ist. Ich bin wahrscheinlich der Einzige, der diese Entdeckung als überaus spektakulär empfindet. Aber mit einem komplett vergessenen Verein als weiterer Keimzelle unserer Wormatia vor hundert Jahren habe ich überhaupt nicht gerechnet.
Weitere Infos:
Bordgemeinschaft der Emdenfahrer
Emdenfamilie
Im Rheintal-Blog veröffentlicht am 25.02.2015
„Hertha, wir warten!“
Die ersten beiden Spiele in der Regionalliga Südwest sind absolviert und Wormatia ist, um die Startschwierigkeiten einmal positiv zu formulieren, noch ungeschlagen. Jetzt können wir uns erstmal ohne schlechtes Gewissen voll und ganz dem DFB-Pokalspiel gegen Hertha BSC widmen. Sechs Mal sind sich Wormaten und Herthaner schon begegnet, zunächst in zwei von Mäzen Winfried Heyn an Land gezogenen Freundschaftsspielen 1976 (0:2) und 1977 (1:1). Die letzten beiden Begegnungen stammen aus der Zweitligasaison 1981/82, hier gabs eine 1:2-Niederlage in Berlin und einen 1:0-Heimsieg, mit dem sich Wormatia bis heute aus der Zweitklassigkeit verabschiedet hat. Und dazwischen, ja, da gab es schon einmal ein Zusammentreffen im DFB-Pokal…
„Hertha, wir warten!“ tönte es von den Rängen am Alsenweg, wo die Wormaten gerade 1:0 beim SV Waldhof führten. Nach glänzendem Saisonstart war man gut dabei im Aufstiegsrennen in die Bundesliga, da leistet man sich als Fan gerne mal ein wenig Übermut. Eine Woche später war das Warten vorbei. Die 1. Runde des DFB-Pokals bereits überstanden (4:2 gegen VfB Remscheid), sammelten sich nun am 23.09.1978 im Wormatia-Stadion 10.000 Zuschauer für die Zweitrundenbegegnung gegen Hertha BSC. Im Tor stand Thomas Zander, zwei Jahre zuvor noch in Diensten der Hertha, woraus sich eine dieser hübschen kleinen Pokalgeschichten ergeben sollte. „Kampf, Technik, alles was ein Fußballherz begehrt“ hatte der Kicker gesehen, eine leicht überlegene Wormatia, was sich auch im Eckballverhältnis von 9:3 widerspiegelte. Im Mittelfeld schaltete der kleine Horst Raubold Berlins Nationalspieler Erich Beer aus, Peter Klag blieb Punktsieger gegen Gegenspieler Rainer Blechschmidt und Gerd Dier lief Dieter Nüssing immer wieder davon. Berlins Henrik Agerbeck machte keinen Stich gegen Wally Günther und falls doch mal etwas durchkam, war Thomas Zander zur Stelle. Erst in der 11. Minute berührte Zander erstmals den Ball, bis dahin hatte Egon Bihn schon eine dicke Torchance und Berlins Holger Brück fast ein Eigentor fabriziert. Nach einem Foul an Dier ging Wormatia durch Werner Seubert per Elfmeter verdient in Führung, konnte danach trotz Überlegenheit aber nicht nachlegen. Zwanzig Minuten vor Schluss hatte sich die Hertha langsam dem Ausgleich angenähert, bis Bernd Gersdorff per Fallrückzieher schließlich das 1:1 erzielte. Peter Klag traf per Kopf noch die Latte, dann ging es in die Verlängerung. Hier war dann „ausgerechnet“ Thomas Zander der Held, der in der 115. Minute einen Foulelfmeter seines ehemaligen Mannschaftskollegen Brück parierte. Wie damals üblich, folgte kein Elfmeterschießen, sondern ein Wiederholungsspiel in Berlin.
Das Wiederholungsspiel am 4. Oktober passte Berlins Trainer Kuno Klötzer überhaupt nicht, denn nun hatte man zwei englische Wochen hintereinander (Mittwochs musste Hertha noch zum UEFA-Cup-Rückspiel nach Plovdiv). Gute Voraussetzungen für Wormatia, die ihr Punktspiel vor dem Wiederholungstermin mit 6:0 gegen den FC Augsburg erfolgreich gestaltete, während die Berliner 2:3 beim MSV Duisburg verloren. Zudem fehlten Hertha die verletzten Erich Beer und Jürgen Milewski. 150 Wormser Fans waren per Bahn, Auto und Flugzeug mit nach Berlin gereist und – standen abends vor den verschlossenen Toren des Berliner Olympia-Stadions. Das Spiel fiel aus.
Dem Bauaufsichtsamt Charlottenburg war im Olympia-Stadion mittags ein Defekt an der Notstromversorgung aufgefallen. So einwandfrei das Flutlicht selbst auch funktionieren mochte, laut Veranstaltungsordnung hieß es: Kein Notlicht, kein Spiel. Die herbeigerufenen Techniker konnten den Fehler nicht finden und so musste das Spiel abgesagt werden. Wormatia wurde erst Stunden später informiert, als man bereits auf dem Weg ins Stadion war. Öffentlichkeit und Fans vor der Toren erfuhren erst 20 Minuten vor dem eigentlichen Anpfiff davon. Trainer Krautzun schickte seine Elf trotzdem auf den Rasen und ließ so lange trainieren, bis die Berliner das Licht abstellten.
Obwohl Hertha BSC selbst nichts mit der Absage zu tun hatte, hegten selbst Berliner Medien den Verdacht der Manipulation. Wormatias Winfried Heyn legte auch sogleich Einspruch gegen die Absage ein. Wäre denn nicht genug Zeit gewesen, das Spiel in ein anderes Stadion zu verlegen? Ein Spiel vor leeren Rängen wäre möglich gewesen, doch schon aus finanziellen Gründen kam das für Wormatia überhaupt nicht in Frage. Eine Spielverlegung auf den nächsten Tag war wegen des nächsten Punktspiels nicht möglich. Unverrichteter Dinge ging es zurück nach Worms.
Der Einspruch hatte, erwartungsgemäß, keinen Erfolg. Sonderlich ernst genommen fühlt sich Wormatia vor Gericht nicht, der mitgebrachte Sachverständige wurde nicht einmal angehört. Es blieb bei einer Neuansetzung des Wiederholungsspiels am 7. November. Die wiederum war angesichts Wormatias Spielplan derart unglücklich terminiert, dass ernsthaft erwogen wurde, nur die Amateure nach Berlin zu schicken. Große Chancen rechnete man sich sowieso nicht aus, da Seelmann, Lubanski, Raubold, Wilhelmi und Dier fehlten. Weiteren Zündstoff bot die Personalie Thomas Zander, denn die klamme Hertha wollte für diesen von Wormatia noch 50.000 Mark Ablöse, statt des eigentlich vereinbarten Ablösespiels. Außerdem habe man den Anteil an den Einnahmen aus dem Pokalspiel in Worms noch nicht erhalten, was Wormatia entschieden zurückwies und im Gegenzug sogar 5.000 Mark zurückforderte. Sportlich lieferte Wormatia wieder eine hervorragende Partie ab, verlor aber 0:2. So war für Wormatia in Berlin Pokal-Endstation, in der nächsten Runde hätte ein lukratives Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach gewunken. Apropos lukrativ: Von den Einnahmen aus dem Wiederholungsspiel sah Wormatia keinen Pfennig.
Also liebe Wormatianer – da ist noch eine sportliche Rechnung offen!
Sonntag, 19. August 2012, 14:30 Uhr: Ab ins Stadion!
Anhang
Wer sich mal richtig einlesen will: Hier habe ich eine PDF mit allen Presseartikeln von damals zusammengestellt. …und hier ist die Stadionzeitung des Wiederholungsspiels.
Im Rheintalblog veröffentlicht am 12.08.2012
Nur Rot ist die „richtige“ Trikotfarbe! Oder nicht?
Jedes Jahr auf’s Neue steigt kurz vor Saisonbeginn, mehr oder weniger, die Spannung. Nicht nur neue Spieler kündigen sich an, sondern auch neue Trikots. Die Zeiten der geschmacklichen Entgleisungen, experimenteller Muster und Farbgebungen sind seit den späten 90ern eigentlich größtenteils vorbei. Dennoch kann man es nicht allen recht machen, selten trifft ein Trikot die uneingeschränkte Zustimmung aller Fans. Die Wormatia-Trikots bilden da keine Ausnahme – insbesondere bei der Farbgebung. Schauen wir uns doch oben nochmal an, welche Farben die Wormaten in den vergangenen Jahren zur Schau trugen.
Weiß einmal außen vorgelassen: Blau, Schwarz und Rot. „Blaue Trikots?! Was hat das denn mit Wormatia zu tun?!“ waren da die Reaktionen, als die Auswärtstrikots damals in den Sponsorenfarben des neuen Geldgebers EWR erstrahlten. Nachdem sich das EWR etwas zurückzog, wurde das Blau abgelöst durch ein sattes Schwarz mit goldenen Lettern. Auch nicht Jedermanns Sache, insbesondere die Gold-Applikationen. Ein gescheites, dunkles Rot – so hat ein richtiges Wormatia-Trikot auszusehen! Aber was bedeutet denn „richtig“? Gemäß den Vereinsfarben? Wie wäre denn ein Trikot ganz in Grün, ganz wie unser Wappentier? Es versteht sich von selbst, dass ich das Ganze natürlich aus der historischen Sichtweise betrachte.
Welche Trikotfarbe ist denn nun historisch „richtig“? Die überraschende Antwort: So wie in der Übersicht oben – und zwar in der Reihenfolge!
Dies ist ein Pin des FV Wormatia 08, welcher sich 1922 mit dem VfR 08 Worms zum heutigen VfR Wormatia 08 Worms verband. Auch der Laie sieht sofort: Hier gibts weder Rot noch Weiß, sondern Blau, Schwarz und Gold (…naja, oder Rost). Blau-Schwarz waren offenbar die Vereinsfarben, in mehreren Spielberichten werden die Wormaten „Die Blauen“ genannt – auch noch nach der Fusion zum VfR Wormatia 08.
Die allerersten Wormatia-Trikots waren in der Tat Blau!
Wahrscheinlich änderten sich die Farben dann schon zur Saison 1923/24. Nun waren die Trikots und Hosen schwarz, die Stutzen zierte ein schwarz-weißes Karomuster. Auf diesem Foto von Ludwig Müller aus dem Spiel gegen Bayern München (Süddeutsche Meisterschaft 1928) kann man dies erahnen.
Schwarz und Weiß waren jedoch mehr als nur Trikotfarbe, wie dieser Ausschnitt aus dem Vorbericht zum Meisterschaftsspiel bei Hassia Bingen (November 1928) zeigt:
„Wir rechnen also mit einem Wormatensieg, der die Meisterschaft so gut wie sicher stellt. Darum ist dieses Spiel das wichtigste aller noch auszutragenden. Die Anhänger werden wie auch im Vorjahr, in dem das Spiel ja auch entscheidende Bedeutung hatte, in großer Zahl die Mannschaft begleiten. Das Wormatenlied wird wieder in allen gemütlichen Weinstuben Bingens ertönen und die schwarz-weißen Fähnchen werden wieder luftig im Wind wehen.“
Damals also selbstverständlich: Wormatias Farben sind Schwarz und Weiß. Doch wie kam man dann auf Rot und Weiß? Vielleicht im Rahmen der Fusion mit dem Reichsbahn TSV? Oder als Neuanfang nach dem Krieg? Die Erklärung ist so einfach wie banal. Die Wormser Sport-Zeitung vom 25. Juli 1929 klärt unter der Überschrift „Wormatia muß ihren Dreß wechseln“ auf:
„Abgesehen von den Unkosten, die dem Verein dadurch entstehen, ist die Maßnahme nur zu begrüßen. Erstens kann uns das unfreundliche wirkende Schwarz nicht gefallen und zweitens ist Schwarz bekanntlich der Sonnenstrahlung viel eher zugänglich als helle Farben. Zum Nachteil der Spieler. Nun wähle sich Wormatia einen recht freundlichen Dreß. Bedingt ist die Dreßänderung durch den Beschluß, daß in Zukunft alle Schiedsrichter der Bezirks- und Kreisliga [die höchsten beiden Spielklassen] in Schwarz antreten müssen. Die Mannschaften müssen daher andersfarbig gekleidet sein.“
Hosen und Stutzen blieben also, nur das Hemd wurde getauscht. Schwer zu sagen bei schwarz-weißen Fotos, aber es scheint mir rot gewesen zu sein:
In den Dreißigern wurde das Trikot dann Weiß, die Hose mal Rot, mal Schwarz. Das weiße Trikot zierte die Wormaten regelmäßig bis in die frühen Siebziger, danach wurde das Trikot öfter mal Rot (und zeitweise sogar blau-gelb).
Das erste mir bekannte Foto mit offenbar ganz in Rot gekleideten Wormaten stammt erst aus der Saison 1960/61:
Achja, „wie wäre denn ein Trikot ganz in Grün“, hatte ich am Anfang dieses Artikels gefragt. In den 30ern gab es offenbar tatsächlich einmal diese gewöhnungsbedürftige grün-rote Kombination:
Im Rheintalblog veröffentlicht am 24.06.2012
Die Einweihung des Denkmals im Wormatia-Stadion 1928
Ich tippe interessante Artikel ja gerne einfach mal ab, die ich bei meiner Recherche entdecke. Diesmal ist es ein Ausschnitt aus dem Artikel „20jähriges Jubiläum des VfR Wormatia“ aus der Wormser Zeitung vom 6. August 1928. Darin wird detailliert die Einweihung des Denkmals im Stadion beschrieben, welches heute ja relativ versteckt an einer anderen Stelle als ursprünglich konzipiert steht.
Eingeweiht wurde das Denkmal am 5. August 1928 – nicht 1938, wie man angesichts der entsprechenden Reden dazu denken könnte. Antiquiert und fast schon belustigend patriotisch wirkt der deutschtümelnde Pathos, der schon in den Zwanziger Jahren verbreitet war, aus heutiger Sicht. Wenn man nicht wüsste, wozu sich dies in den Folgejahren entwickelt hat.
„Der zweite Tag der Jubiläumsveranstaltungen begann um 11 Uhr mit der feierlichen Enthüllung des Ehrenmals für die Gefallenen. Die Mitglieder und Freunde des Vereins hatten sich zahlreich zu der erhebenden Feier eingefunden, die der Posaunenchor der „Festen Burg“ mit dem „Niederländischen Dankgebet“ eröffnete. Der Gesangverein „Sängerquartett Worms“ sang dann Schuberts „Heilig“. Weihevolle Stille herrschte, als der Präsident, Herr Rechtsanwalt Luley, die Gefallenen des Vereins ehrte. Wenn auch schon 10 Jahre seit Kriegsende verflossen seien, so gedächten die Glieder des Vereins ihrer Gefallenen heute doch noch mit der gleichen Verehrung und Trauer als zur Zeit, da sie ihr Leben hingaben für Volk und Vaterland, für Heimat und Familie. Unsere Toten werden nie vergessen werden. Ihr Andenken werde stets in uns lebendig bleiben. Ihnen zu Ehren sei das Denkmal erstellt, das er jetzt seiner Bestimmung dem Verein übergebe.
Herr Pfarrer Bernbeck nahm dann die feierliche Enthüllung und Weihe des Ehrenmals vor. Eine ernste Feier führe uns heute zusammen. Der Abstand vom Weltkrieg werde größer und größer. Aber immer noch laste das Leid auf uns. Auch heute gelte es Rückschau zu halten. Die Straße, die wir gegangen seien, führe vorbei an den Trümmern einer Welt, die uns heilig war, führe vorbei an den Trümmern einer Volksgemeinschaft. Unendliches Leid habe der Krieg über die Menschheit gebracht. Beklage das deutsche Volk doch alleine 2 Millionen Tote. Sie mahnen uns immer wieder aufs Neue: Deutsches Volk, vergiß deine Toten nicht. Sie sind nicht vergessen. Solange die deutsche Treuer währt, solange die deutsche Zunge klingt, wird man anderer gefallenen Helden gedenken. Rund 100 Mitglieder Wormatias waren hinausgezogen, um zu kämpfen für des Vaterlandes Ruhm und Ehre. 25 sind nicht wieder heimgekehrt. Ihre Namen sollen besonders den Mitgliedern in dauernder Erinnerung bleiben. Fester noch als in Stein sollen sie in Euren Herzen geschrieben stehen. „Dem Vaterlande dienen wir, wenn wir zu spielen scheinen“. Dies Wort ist gleichsam die Ueberschrift über alle leibliche Betätigung. Ein gesundes Geschlecht müsse herangebildet werden. Denn Ausdauer und Willenstärke sind Notwendigkeiten des Lebenskampfes, Die Heranbildung einer Jugend, die sich ihre Ideale nicht nehmen lasse, das sei eine der Hauptaufgaben, die die Führer der Jugend heute zu bewältigen hätten.“
Doch genug der ganzen Reden, wie sah das Denkmal denn damals aus?
„Mit dem weihevollen Vortrag des Chores „Frieden“ durch das Sängerquartett fiel dann die Hülle vom Denkmal. Der Vorsitzende, Herr Georg Völker, übernahm es für den Verein zu treuen Händen. Herr Schumann legte für die Ligamannschaft, Herr Klingenmeyer für die übrigen Aktiven und Herr Rehm für die Jugend- und Schülerabteilung Kränze nieder. Für die Brudervereine sprachen unter gleichzeitiger Kranzniederlegung die Herren Ewald für Alemannia und Schenk für Olympia. Auch der Verein für Bewegungsspiele Leipzig [Red.: dieser bestritt im Anschluss ein Freundschaftsspiel gegen Wormatia] widmete durch seinen Reisebegleiter den Gefallenen einen Kranz.
Damit hatte die schlichte, aber erhebende Feier ihr Ende gefunden. Das Ehrenmal ist hervorragend schön gelungen. Es steht in der Längsachse des Haupteingangs zum Spielfeld und schließt den vorderen Teil der Sportplatzanlage architektonisch ab. Zu beiden Seiten ist es durch Freitreppen flankiert, die der Denkmalsanlage die Breite von 20 Metern geben. Es ist in Muschelkalk gehalten, von Herrn Helbig = Groß-Gerau entworfen und von der Firma Hippler u. Werner ausgeführt. Die beiden je sechs Meter breiten Freitreppen schließen einen großen Block ein, der die Inschrift „Unseren Helden“, sowie die Namen der Gefallenen trägt. Dieser Block trägt einen Sockel, der wiederum einen Fußball von 1,20 Mtr. Durchmesser trägt. Der Sockel besteht aus einem kleinen, zweistufigen Unterbau und einem achteckigen Prisma, das auf vier Seiten von schräg stehenden Pfeilern flankiert wird. Das Ganze macht einen außerordentlich schönen Eindruck und wird nun noch gärtnerisch umrahmt.“
Im folgenden Absatz bestätigt sich meine bisherige Erkenntnis, dass das Stadion damals keinen besonderen Namen hatte:
„Worms ist um eine Sehenswürdigkeit reicher geworden, wie überhaupt der neue Wormatiasportplatz unserer Stadt zur Zierde gereicht. Noch ist er nicht ganz fertiggestellt. Doch bietet er sich heute schon in einem Gewand, das zu erkennen gibt, daß dieser Sportplatz zu den schönsten der näheren und weiteren Umgebung zu zählen ist. Die tiefrot angelegte Außenfront mit dem wuchtig wirkenden hohen Haupteingang, der in dunkelgoldenen Lettern den Namen „Stadion des VfR Wormatia 08″ trägt und hinter den sich, den Eingang flankierend, die Kassenhäuschen, ebenfalls in dunkelrot gehalten, anschließen, steht mit den im oberen Teil dunkelgrün, im unteren bunt gehaltenen Kontrollhäuschen (die Kassenanlage ist übrigens sehr zweckmäßig), farblich in gutem Kontrast. Der Blick fällt dann in gerader Linie auf das in grauem Muschelkalk gehaltene Ehrenmal, das, wenn erst einmal die gärtnerischen Anlagen fertiggestellt sind, dem vorderen Teil des Sportplatzes einen hervorragenden Abschluß geben wird. Die Sicht auf den eigentlichen Sportplatz ist durch die hohe Nordkurve vollständig verdeckt.“
Wenn der Neubau in der Nordkurve kommt, muss das Denkmal wieder weichen und versetzt werden. [Edit 2018: Der Neubau wurde wegen der Laufbahn nie realisiert] Das Denkmal ist das letzte Überbleibsel des ursprünglichen Wormatia-Stadions, wie es 1928 durch die Mitglieder eigenhändig erbaut wurde. Alles andere wurde bereits beim Neu- und Ausbau 1939 wegmodernisiert, die Haupttribüne zwangsweise 1986 abgerissen. Ach, es wäre ein Traum, wenn man die ursprüngliche Denkmalanlage wieder andeutungsweise herstellen könnte. Wo gibt es denn in Zeiten von Stadionbauten aus dem Baukasten solche Anlagen noch?
Im Rheintalblog veröffentlicht am 25.05.2012
Recherche-Zwischenbericht: Wormatia in den 20ern
Autos rattern an, Wiesbadener kommen damit und die Bahn bringt weiter hunderte von Anhängern des feudalen Sportvereins. Die bringen eine großstädtische Atmosphäre mit auf den Platz, fremdartige Parfüme (ja, denn die Weiblichkeit ist prozentual stark vertreten) und neue Kostüme. Auch die Herren geben sich Mühe, möglichst blasiert und siegessicher dreinzuschauen, manch naseweißes Jüngelchen führt große Reden von Sieg und gar welch hohem Sieg…
[…] Jetzt bricht Gelb durch die Barriere, sie springen aufs Feld, die Kurstädter […]. Lang lassen die Wormser auf sich warten, im Publikum wirds langsam siedendheiß. Stürmisch aber erwartungsvoll ist dann der Beifall, als sie kommen.
[…] Gleich im Anstoß brandet Wormatias erste Angriffswelle vor, Ball zu Völker, dann zu Siegler. Schiedsrichterball, aus. Das gleiche Bild wie im vergangenen Jahr. Rasendes Tempo, Angriff auf Angriff. Siegler verschießt aufgeregt zweimal, Karl Wolf und Ludwig Müller können dann gemeinsam das Tor nicht finden. Die erste Ecke. Abgewehrt. Wieder kommt von links ein Angriff vor, Wolf ist im Besitz des Balles zuletzt, schießt vor, legt sich dann im Strafraum den Ball zurecht und wird dafür von einem Wiesbadener Verteidiger ebenfalls „zurecht“ gelegt. Elfmeter. Ludwig Müller baut ihn in die Kiste. Minutenlanges Rasen im Publikum. Wiesbaden wacht auf. Schickt Angriffe vor, aber das Andante dieser Vorstöße wird von den wuchtigen und hoch berechneten Furiososchlägen der Wormser Hintermannschaft zerstört. Gott, haben die Müller heute einen Tag! Fabelhaft! Und Gispert ist mit allen Nerven und Sinnen bei der Sache. Doch vorerst erhält er noch keine eigentlich gefährlichen Sachen.
Elan der Kurstädter erlahmt bald wieder. Bald wieder hat Wormatia sich vom freudigen Schreck erholt. Schumann, Mittelläufer, schafft wie besessen vor mit dem Ball zum Sturm, auf die Flügel. Und immer brenzlicher wird es vor Rischers Kiste. Aber der beweist heute seinen Ruf, zu den drei besten Hütern in Süddeutschland zu zählen. Fällt manchmal bitter hinter sich um, aber noch im Fallen reckt er die Arme hoch – und hat den Ball! Dann – jetzt scheint aber das zweite Tor zu glücken, ganz allein ist Siegler durch, schießt scharf, Rischer klatscht ihn an den Ball, gelber Verteidiger schlägt ihn ins Feld zurück, aber nicht weit genug, wieder kommt er zu Ludwig Müller, wieder scharfer Schuß, wieder landet er in Rischers Arm. Aus diese beiden Chancen. Dann schafft Wiesbaden sich wieder durch. Seck knallt ein gefährliches Ding an die Latte, ja, auch Glück muß der Bessere haben.
Immer heißer wird der Kampf. Hartmanns ganz hingegebenes Gesicht, schweißtriefend, das nichts mehr sieht als Ball und Spiel, ist ein Symbol für die ganze Wormatiamannschaft, die von dem einen Drang beseelt ist. Sieg gegen den Erbfeind! Ich erinnere mich da auch an Schumanns Abwehr, als er den Ball ins Gesicht bekam und doch noch halb besinnungslos nach taumelte, um sich Gewißheit zu verschaffen daß wieder Sicherheit! Verteilter wird dann das Spiel bis Seitenwechsel.
[…]
Wenn man auf solch grandiose Berichte stößt, macht die Recherche besonders Spaß! Richard Kirn verdanken wir diese Berichterstattung zum 2:1-Sieg gegen den SV Wiesbaden am 13. September 1925. Worms hatte damals 40.000 Einwohner, 2000 Zuschauer wollten das Duell am Schweißwerk gegen den „Erbfeind“ sehen. Herzliche Abneigung verband beide Vereine und deren „Fanatiker“, das gleiche galt zumindest auf Zuschauerebene auch für das Derby gegen Alemannia Worms. Und wer noch an das Klischee von damaligem fairem Sportsgeist und kultiviertem Publikum glaubt, hat keine Vorstellung von der feindlichen Atmosphäre auf den Rängen, wenn Wormatia in Griesheim zu Gast war. Die Wiesbadener Presse gab dem „fanatischen Publikum“ die Schuld am 2:1-Sieg Wormatias, was Richard Kirn so nicht stehen lassen konnte:
„Noch lange nicht mitfiebernd genug ist unser Publikum! Man komme auf andere Sportplätze, nach Mainz, nach Mannheim! Aber derselbe Leitartikler wird bei anderer Gelegenheit halb neidig über die Ekstase berichten, in die die Zuschauer in Spanien und Italien geraten und über die Anfeuerung die sie ihren Nationalmannschaften und Clubmannschaften entgegenbringen.“
Ach, die Diskussionen über das Fanverhalten. 90 Jahre alt… Aber genug hierzu, Ihr Schlusswort Herr Kirn?
„Solange noch Menschen und nicht Automaten die Barrieren umstehen, wird Begeisterung da sein und Anfeuerung – und das ist gut so!“
Nicht gut zu sprechen war Wormatia auch auf den Verband, der seine Strafen sehr seltsam verteilte. Nach Platzverweisen für Bubi Müller und Karl Völker wegen Reklamierens wurden beide sofort für ein Vierteljahr gesperrt. Richard Kirn bezeichnete das als skandalös, auch weil Spieler anderer Vereine noch wochenlang „frei“ herumliefen, bis sie eine Strafe ereilte. Im Gegenzug wurde die Strafe für ein Vergehen Atlant Kiefers aus dem Januar erst im September (!) geahndet, just als die Pflichtspiele wieder losgingen. Zwei Monate Sperre gab es hier, während ein Wiesbadener für das gleiche Vergehen mit einer kleinen Geldstrafe davonkam. Überhaupt, die Wiesbadener! Man munkelte, diese würden 1600 Rentenmark monatlich an Spielergehältern zahlen. Und Geld fürs Fußballspielen zu kassieren galt als äußerst niederträchtig. Berufsspielertum! Ein Schimpfwort. Das galt auch für Mainz 05, bei denen Anfang der Zwanziger auf dem Platz überwiegend berlinert wurde. Auffällig viele gute Fußballer waren da plötzlich von Berlin nach Mainz gezogen…
Man merkt, dass ich die Recherche über das Dritte Reich erst einmal hinter mir gelassen habe und nun bei den Zwanzigern angelangt bin. Wie wunderbar, dass mir hierfür komplette Jahrgänge der MSZ als PDF vorliegen. Fast alle Ergebnisse von 1920 bis 1926 habe ich gefunden und mittlerweile in die Datenbank eingetragen. Leider hat Richard Kirn erst ab 1924 die Berichterstattung übernommen, zuvor hatte der Verein selbst Spielberichte an die MSZ geschickt. „Leider“ deshalb, weil der Verein im Gegensatz zu Kirn grundsätzlich auf die Angabe der Aufstellung verzichtete und im Text auch nur die Positionen nannte. Das 1:0 schoss dann „der Mittelläufer“ auf Vorlage des „Halblinken“. Da hat man schon sämtliche Spielberichte und kann trotzdem keine Spielerstatistik anlegen… Die meisten dürften mit „Mittelläufer“ nichts anfangen können, an dieser Stelle daher einmal eine kleine Einführung in den Fußball der Zwanziger Jahre.
Status Quo bis in die späten Fünfziger war das Spielsystem 2-3-5 („Schottische Furche“). Die Aufstellungen wurden daher so notiert: Torwart (No. 1) – Rechter Verteidiger (2), Linker Verteidiger (3) – Rechter (Außen)Läufer (4), Mittelläufer (5), Linker (Außen)Läufer (6) – Rechtsaußen (7), Halbrechter (8), Mittelstürmer (9), Halblinker (10), Linksaußen (11). Anhand der Rückkennummern kann man erahnen, wie sich die Positionen im Laufe der Zeit verschoben haben (siehe hierzu auch den informativen Wikipedia-Artikel). Der Mittelstürmer hatte – zumindest bei Wormatia – die Aufgabe, den Ball für seine Sturmkollegen aufzulegen. Bezeichnenderweise waren die beiden größten Wormatia-Goalgetter Ludwig Müller und Willi Winkler auf Halblinks bzw. Rechtsaußen zu finden. Beim 7:1 gegen Hassia Bingen war Winkler fünffacher Torschütze, da kann ich gleich mal den „Rekorde“-Bereich ergänzen.
Anders als heute ist natürlich auch die Sprache in der Berichterstattung. Wo heute das Durchbrechen eines Stürmers verhindert wird, wurde damals der „Durchbrenner“ gestoppt. Des Torwarts „Heiligtum“ ist heute schlicht das Tor, auf das damals unaufhörlich „Bomben“ abgefeuert wurden. Und wer gut spielte, „enttäuschte nach der angenehmen Seite hin“. Der Elfmeter hieß Elfmeter, der Freistoß aber „Strafstoß“ (anfängliche Verwirrung garantiert!). Typische Phrase: „Bald war die eine, dann die andere Seite im Vorteil.“ Die Berichte hatten teils Liveticker-Format: Wer Anstoß hat, dass der erste Angriff im Aus landete, die Erwähnung jeder einzelnen Ecke, jedes Torschusses – alles drin. Nur die Zuschauerzahl wurde selten genannt. Bei Wormatia-Heimspielen fanden sich offenbar regelmäßig zwischen 1000 und 1200 Besucher ein, was zu sehnsüchtigen Blicken nach Wiesbaden oder Neunkirchen führte, die 3000-5000 Zuschauer anlockten. Das war allerdings bevor Wormatia ihren ersten Meistertitel in der Bezirksliga holte.
Man muss sich vor Augen führen – die Bezirksliga bedeutete erstklassigen Fußball. Höher gings nicht im Süddeutschen Fußballverband. Neben Wormatia gab es sieben weitere Mannschaften in der Bezirksliga Rheinhessen/Saar, sodass jede auf 14 Punktspiele kam. Nach einer 2-4wöchigen „Spielsperre“ (Freundschaftsspiele wurden nur in Ausnahmefällen genehmigt) im Juli ging es im September mit den Punktspielen los, im Dezember, spätestens Januar, war man damit auch schon durch. Der Meister traf dann auf die Meister/Vizemeister der anderen Bezirksligen, die in einer erneuten Achtergruppe den Süddeutschen Meister ausspielten. Und der durfte dann zur Endrunde um die Deutsche Meisterschaft. Wer es nicht zur „Süddeutschen“ schaffte, für den begann im Januar die Runde der Freundschaftsspiele. Jeden Sonntag bis zum Juni wurde gespielt, oft mit gegenseitigen Besuchen, also freundschaftlichem Hin- und Rückspiel. Wormatia versuchte, nahmhafte Gegner nach Worms zu locken, um dem sportinteressierten Publikum für die 0,80 bis 1,20 Rentenmark Eintritt auch etwas zu bieten. Trainiert wurde wöchentlich, einen ausgewiesenen Trainer (Sportlehrer) hatte Wormatia nicht mehr und wandte weiterhin das unter Karl Willnecker Gelernte an. Das reichte, um den Erstligisten Wiener AC mit 2:1 zu besiegen und dem Deutschen Meister 1.FC Nürnberg ein 1:1 abzutrotzen. Beides auf dem heimischen Platz, denn der Heimvorteil hatte damals noch einen deutlich größeren Wert und Auswärtssiege waren etwas ganz Besonderes. So gabs am Schweißwerk eine 8:0-Klatsche für Borussia Neunkirchen, dafür ging man in Neckarau 1:8 unter. An den schwankenden Leistungen hatte auch die Änderung der Abseitsregel Schuld, denn darauf konnte sich die Mannschaft so ganz ohne professionelle Anleitung nicht richtig einstellen. Daher wurde 1926 Ex-Nationalspieler Ludwig Philipp vom ASV Nürnberg als Spielertrainer bzw. „Technischer Leiter“ verpflichtet – und prompt ging es bergauf. Dort ist meine Recherche jetzt angekommen, ich hoffe auf spektakuläre Berichte zur ersten Meisterschaft und zu den Spielen um die Süddeutsche.
Im Rheintalblog veröffentlicht am 24.04.2012
Klubfanatismus – Ein Beitrag zur Psyche der Vereinsenthusiasten
Das Rheintal präsentiert Teil 2 der Reihe „Fußballfanatismus im Jahre 1920“. Wieder in der Mittelrheinischen Sportzeitung abgedruckt (28.09.1920), analysiert diesmal Dr. Richard Soukup aus Wien ausführlich die „Psyche der Vereinsenthusiasten“. Einmal mehr merkt man bei der Lektüre dieses historischen Beitrags zur Fußballkultur, dass sich in den letzten 90 Jahren nicht allzu viel geändert hat, sondern Details höchstens aktualisiert wurden. Damals stellte man sich „stundenlang vor Redaktionen an“, um das Endergebnis seines Vereins zu erfahren, heute sitzt man gespannt vor dem Liveticker (oder vor einigen Jahren noch vor dem Videotext). Es sind einige Passagen, die auch in einem Nick Hornby Roman vorkommen könnten oder sich gut für eine Signatur in einschlägigen Foren eignen:
„Seine Begeisterung trägt ihm nicht das geringste ein, im Gegenteil, sie verursacht ihm wiederholt, nein, permanent (unbezahlte!) Aufregung, Verduß, Enttäuschung, nicht selten Kummer. Allerdings oft auch Freude, Genuß, Vergnügen. Es ist eine Art sonderbarer Treue, wenn nicht gar Liebe, die den wirklichen Klubfanatiker vor anderen Menschen auszeichnet. Wenn er es mit seiner einmal getroffenen Wahl ernst nimmt, dann spielt er nicht einmal mit dem Gedanken, seine Farben zu wechseln. Das würde ihn seiner eigenen Verachtung ausliefern.
Wie anders stehen da eigentlich die meisten Spieler da, deren Bindung an den Klub – wie man glauben sollte – doch eine bei weitem engere ist.“
Wie wahr, wie wahr…
—
Es ist eigentlich ganz merkwürdig. Leidenschaften, mögen sie in ihrem schließlichen Effekt noch so sehr divergieren, haben letzten Endes doch immer ein konkretes Objekt bzw. Eine sichtbare oder doch wenigstens vorstellbare Beziehung. So zum Beispiel die Spielsucht, die Wettleidenschaft, die beide im Gewinntrieb und dessen möglichem Effekt ihre Wurzel haben, die Sammelleidenschaft, die an dem Bewußtstein, etwas nun endlich im Besitz zu haben, ihre Befriedigung findet, von den Leidenschaften der Sinne erst gar nicht zu reden. Jeder diesen Leidenschaften Unterworfene hat ein plastisches Ziel, das seinem Bestreben die entscheidende Richtung gibt.
Der Sportfanatismus jedoch (wohl zu unterscheiden von der Sportbetätigung) entbehrt eines derartigen Zieles ganz. Er ist, wenn man ihn nicht gerade mit der Sucht, sich einen bequemen Nervenkitzel zu verschaffen, in ursächlichen Zusammenhang bringen will, ohne Zweifel ein Rest idealer Art der Befriedigung des Bedürfnisses, der freien Zeit eine Bestimmung zu geben.
Dieser Sportfanatismus nun, der einen gewissen pathologischen Einschlag nicht verleugnen kann und der gerade bei Fußball am klarsten (wenn man so sagen darf) und in seinen bizarren Formen in Erscheinung tritt, ist in seinen Konsequenzen, die genau genommen eigentlich Inkonsequenzen sind, derart interessant, wenn nicht gar rätselhaft, daß es sich wohl der Mühe verlohnen mag, sich mit ihm etwas eingehender zu beschäftigen.
Ich behaupte es ruhig, ohne mir einer Uebertreibung bewußt zu werden und ohne Widerspruch zu erwarten: Es gibt im Leben – von der Wucht der Eindrücke von Kunstereignissen vielleicht abgesehen – kaum etwas, das imstande wäre, den Menschen in seiner gewohnten Art und in seinem hergebrachten Gehaben, in seinen Aeußerungen und Empfindungen derart zu verändern und diesen Veränderungen schließlich noch den Charakter von etwas sonst vielleicht bequem, anspruchvoll – vielleicht sogar träge und schier Gewolltem zu geben – wie eben der Klubfanatismus, wie die Summe der Erscheinungen und Begebnisse, die die Begeisterung für –seinen– Klub in dem Begeisterten auslöst.
Wenn schon der von Natur aus nüchterne, auf sein Phlegma eingebildete, durch kaum etwas für längere Zeit oder merklich aus seiner Ruhe zu bringende Engländer oder Amerikaner zu einem völlig andern wird, wenn es um Sport, sportliche Wettkämpfe, um das Schicksal, um die Erfolge seines Vereins geht, so sollte es uns, die wir doch leichtblütiger und bei weitem empfänglicher sind, erst recht nicht wunder nehmen, wenn unsere Sportenthusiasten über die Stränge schlagen.
Nicht einmal der Einwand darf gelten, daß dieser Narkose des normalen Empfindens, wie ich die Befangenheiten des Klubfanatikers nennen möchte, in erster Linie die Jugendlicheren unter den Zuschauern verfallen. Das stimmt nämlich nicht. Es sind zum größten Teil die Erwachsenen (allerdings eher die in mittleren Jahren), welche diese allsonntägliche Metamorphose auf sich nehmen müssen… Müssen! Damit ist alles gesagt. Sie werden nicht gefragt, es kommt elementar über sie. Irgend etwas in ihnen diktiert: Ihr habt nun andere zu sein! Und – sie werden andere. Sonst vielleicht bequem anspruchsvoll, vielleicht sogar träge und faul, stehen sie, wenn es nur ein halbwegs wichtiges Match gibt, ruhig zwei bis drei Stunden in Hitze, Kälte oder gar Regen, recken hunderte Mal die Hälse hierhin und dorthin, vergessen auf jeden Imbiß, horchen nach rechts und links, wenn sie nur irgend etwas, vielleicht etwas ganz Belangloses über –ihren– Klub hören, sind zu energischem Widerspruch, der gegebenenfalls auch zur Akvokatenrede werden kann, jederzeit bereit, wenn man diesen ihren Klub oder dessen Spieler zu kritisieren wagt usw.
Sonst vielleicht vorsichtig und mehr als sorgfältig in der Auswahl ihres Umganges, unterhalten sie sich offensichtlich mit Vergnügen, wenn nicht gar freundschaftlich, mit dem minder gebildeten Nachbar, wenn dieser sich nur zum gleichen Klub bekennt wie sie selbst. Der Komplex ihrer sportlichen Empfindungen und Eindrücke ist auf ein einziges Objekt abgestimmt. Und dieses ist – ihr Klub. Das besagte Interesse überträgt sich naturgemäß automatisch und in vervielfachtem Maße auf die Spieler dieses Klubs, auf deren Privatleben, Schicksale, Erlebnisse, Wohlbefinden, auf die Würdigung und Kritik, die sie seitens der Allgemeinheit oder Gegner erfahren. Alles aber, was vom Gegner kommt oder den Gegner betrifft, wird mit bewußtem Mißtrauen aufgenommen, ist für alle Fälle ein Verstoß und unterliegt vernichtender Kritik. Die vorurteilslosesten Menschen verlieren da ihre richtige Urteilskraft, verleugnen sozusagen ihre sonst wahrscheinlich entgegengesetzte moralische Veranlagung. Sie können sich von dem flammenden Gefühl – Anhänger zu sein – eben beim besten Willen nicht los machen. Und gar, wenn ein Goal erzielt oder der Sieg errungen wurde, dann hält sie überhaupt nichts mehr zurück. Die Ruhigsten, Besonnensten fallen da, zumindest auf Augenblicke, aus ihrer Rolle. Sie schreien halbe Minuten lang – was sie sonst vielleicht nicht einmal auf Kommando tun würden – Goal! Goal! Goal! werden womöglich heiser dabei, schwenken Hüte, werfen sie in die Höhe, umarmen den aus gleichem Grund enthusiasmierten Nachbar, strampeln wie die Kinder mit den Füßen, daß die Tribünen dröhnen, als käme ein Erdstoß daher, tragen Spieler, die sich ausgezeichnet haben, auf den Schultern hinaus, drohen dem Schiedsrichter oder schützen ihn mit eigener Gefahr – je nachdem – stellen sich stundenlang vor Redaktionen an, um die Resultate, die von auswärts kommen sollen, zu erfahren, und wenn sie eine Zeitung in die Hand nehmen, dann ist es in erster Linie immer die Sportrubrik, die sie interessiert und in dieser wieder vor allem das, was ihren Klub betrifft. Man könnte den Versuch machen und diesen Fanatikern an Wochentagen – in lichten Momenten – Photographien vorzeigen, auf denen die Art und Weise, wie sie sich am Sonntag aufgeführt haben, festgehalten ist – sie würden glatt bestreiten, sich derart aufgeführt zu haben. So absurd würde ihnen das alles vorkommen.
Wenn man sich nun versucht fühlte, diesen Gefühlen und Gefühlsäußerungen, die alle die Note des Grotesken tragen, auf den Grund zu gehen, so müßte man von folgenden Betrachtungen ausgehen. Fußball ist (vom Standpunkt des Zuschauers natürlich) ein Sport, der wie kaum einer (ganz im Gegensatz z.B. zur Leichtathletik) die Massen zu interessieren versteht, der das Moment der Ungewißheit des Ausganges ganz besonders unterstreicht und die diversen geheimen Vereinbarungen, wie wir sie heutzutage bei Ringkämpfen, Rennen usw. leider nur zu oft konstatieren müssen, schon deshalb negiert, weil das Kampfmoment, wie bereits bemerkt, für ihn eine conditio sine qua non ist. Dieser Sport suggeriert wie nicht bald ein anderer, und das Interesse, das den einen beherrscht, teilt sich mit seiner ganzen Hartnäckigkeit wie ein Bazillus dem zweiten, den anderen mit. Alle, die den gleichen Klub erwählt haben, bilden unwillkürlich eine Front, wie sie das schlagwortreichste, politische Programm nicht herzustellen imstande wäre, eine Front, die sich durch jedes Glied der Gegenfront automatisch provoziert fühlt, der es daher an Anlässen zur Aktivität nie gebricht.
Merkwürdig! Bei aller Sucht, das Leben immer mehr in die Kulissen des Realen zu zwängen, ist doch jedem von uns eine Art idealer Ader geblieben, die mit Hartnäckigkeit irgendein Objekt sucht, an dem sie sich ausleben, für das sie sich betätigen kann. Dieses Objekt nun findet der Sportenthusiast in seinem klub. Seine Begeisterung trägt ihm nicht das geringste ein, im Gegenteil, sie verursacht ihm wiederholt, nein, permanent (unbezahlte!) Aufregung, Verduß, Enttäuschung, nicht selten Kummer. Allerdings oft auch Freude, Genuß, Vergnügen. Es ist eine Art sonderbarer Treue, wenn nicht gar Liebe, die den wirklichen Klubfanatiker vor anderen Menschen auszeichnet. Wenn er es mit seiner einmal getroffenen Wahl ernst nimmt, dann spielt er nicht einmal mit dem Gedanken, seine Farben zu wechseln. Das würde ihn seiner eigenen Verachtung ausliefern.
Wie anders stehen da eigentlich die meisten Spieler da, deren Bindung an den Klub wie man glauben sollte doch eine bei weitem engere ist. – – –
—
Im Rheintalblog veröffentlicht am 06.12.2011
Vereinsfanatismus – Ein Beitrag zur Ultradebatte aus dem Jahre 1920
Ultras sind der Untergang des Fußballs. Schiris werden verprügelt, gegnerische Fans attackiert. Ermahnungen bringen nichts, es wird immer schlimmer. Das sind keine Fußballfans, das sind Tiere! Die interessieren sich doch gar nicht wirklich für das Spiel, sind schlicht dumm und haben keine Ahnung vom Fußball. Moralisch haben die gar nicht das Recht, ein Fußballspiel zu besuchen. Brecht das Spiel sofort ab, wenn der Mob tobt!
Könnte man so ähnlich in einem beliebigen Forum zur aktuellen Debatte um Pyrotechnik und Ultras lesen. Hierbei handelt es sich aber um die Essenz eines bemerkenswerten Leserbriefes, abgedruckt in der Mittelrheinischen Sportzeitung vom 2. November – 1920. Einundneunzig Jahre alt. Die Debatte um Gewalt im Fußball und „sogenannte ‚Fans’“, sie beschäftigte schon unsere Urgroßväter. Als kleiner Beitrag zur aktuellen Debatte und für Freunde der geschliffenen Sprache, hier nun der Leserbrief des Herrn Fischer aus Backnang in voller Länge. Titel: „Vereinsfanatismus“, erstmals erschienen in der Zeitschrift „Fußball“, nachgedruckt in der MSZ.
—
Nimmt man einen –Fußball– zur Hand und liest die Berichte über Wettspiele, so findet man fast immer Klagen über –sportwidriges Verhalten– des Publikums. Wenn man bedenkt, was über dieses Kapitel schon geschrieben wurde, so kommt man unwillkürlich zu dem Schluß, daß endlich Ermahnungen, so oft ausgesprochen, zum gewünschten Erfolg führen müßten. Doch, weit gefehlt, Besserung sieht man nirgends! Leider Gottes, schlimmer wird es immer!
Warum? Ich bin weit davon entfernt, zu glauben, daß die Spieler selbst, auch Schiedsrichter, Menschen ohne Fehl seien. Das kann ja gar nicht sein. Und wenn Uebergriffe vorkommen, so kann ich das verstehen, denn das Fußballspiel ist ein Kampf, ohne allen Zweifel, sogar ein harter Kampf, und es spricht hier noch der Umstand, daß trotz dieses –Kampfes– das Fußballspiel immer mehr Anhänger gewinnt, dieser Sport ein wirklich die Herzen höher schlagen lassendes und ein für Körperstählung unermeßliches Moment ist.
Ich bin auch nicht der Ueberzeugung, daß der Zuschauer ein höheres Wesen sein soll, daß er sich nicht vom ganzen Herzen freuen soll, wenn –sein– Verein einen Erfolg davonträgt. Aber ich kann es mit meinen gesunden fünf Sinnen einfach nicht begreifen, daß solche Auswüchse, wie ich selbst schon dutzendmal beobachtet habe, vorkommen, daß Schiedsrichter verprügelt werden, daß Vereinsfanatiker Andersdenkende tätlich angreifen, und weiß der Teufel, was noch vorkommt. Sind das Sportsjünger, sind das Sportsfreunde, die ein Interesse daran haben, ein schönes Spiel zu sehen? Nein, gewiß nicht, das sind Wesen, verwandelt mit Tieren!
Woran liegt es? Was ist der Grund dieser Ausschreitungen? –Vereinsfanatismus– sagen viele! Ich denke kaum daran, daß allein dieser Umstand genügt, solche Vorkommnisse zu entschuldigen. Ein tieferer Grund ist viel naheliegender: das ist die Unkenntnis, die bodenlose Dummheit des Publikums, oder besser: –solchen– Publikums.
Alle Achtung habe ich vor den Leuten, die, eingeladen zum Besuch eines Wettspiels, mir antworten: –Ich gehe nicht hin, ich verstehe nichts davon!– Da weiß man doch, woran man ist. Solche Leute wollen etwas von einem Spiele haben, wollen wirklich den tiefen Gedanken des Fußballspiels ergründen. Es liegt doch so nahe, zu glauben, daß allmählich –jeder– etwas vom Fußballspiel versteht. Wer glaubt das? Ich möchte ihn kennen? Greife man doch mal einen Zuschauer heraus und frage ihn, was er über das Spiel für Ansicht hat! Die Haare, selbst wenn man fast keine mehr haben sollte, stehen zu Berg! Einfach bodenlos dumm! Stupid!
Eine moralische Berechtigung zum Besuch eines Wettspiels hat nur der, der die Regeln kennt und der hat dann später auch das Recht, sich beim Schiedsrichter zu beschweren. Nehmen wir doch Beispiele aus dem praktischen Leben: Was habe ich davon, wenn ich in ein Konzert gehe und habe keinen Schimmer vom Aufbau eines Musikstückes! Was nützt es mir, wenn ich eine Maschine besichtige und bin chemisch rein vom Wesen des Dampfes, der Elektrizität?
Es ist ein Unding zu glauben, daß die Zeit, dies viele Besuchen, einen wirklich vorteilhaften Eindruck hinterläßt. Ich bin der festen Ueberzeugung, daß wir unwiderstehlich einem schiefen Ende zutreiben, daß unsere ganze Fußballbewegung unter dem Einfluß dieses Despoten der Unkenntnis verwässert, und daß der ganze tiefe Gedanke dieses Spiels, der Körperstählung, der Unterordnung unter ein Gesetz, ausgeschaltet wird und weiter nichts mehr ist als ein –Stauchen–. Sind wir dazu verdammt? Können wir Fußballjünger, wir, die fast ihr alles sehen, in dem geliebten Sport, können wir das zulassen? Ist es nicht genug, wenn eine schwarze Zukunft unseres Sports uns bevorsteht, wenn ernste Schläge an das Haus des deutschen Fußballebens pochen?
Unterrichtet, mündlich, durch die Presse, durch Uebersendung von Schriften eure Vereinsmitglieder, aktiv und passiv! Wir müssen aus diesem Sumpf herauskommen! Schiedsrichter, brecht das Spiel ab, wenn solche Ereignisse einzutreten drohen! Macht den Platzverein verantwortlich und gebt ihn der Oeffentlichkeit preis! Spieler, seid nicht hitzig, ringet ehrlich mit dem Gegner, spielt und habt Achtung vor dem Gegner, wenn er euch besiegt, aber auch wenn ihr ihn besiegt!
Alle aber denkt daran, was der Dichter sagt!
Leidenschaft sind schäumende Pferde,
Angespannt an den rollenden Wagen,
Wenn sie entmeistert sich überschlagen,
Zerren sie doch durch Staub und Erde.
Aber lenkest du fest die Zügel
Wird ihre Kraft dir selbst zum Flügel
Und je stärker sie reißen und jagen
Um so herrlicher rollt der Wagen!
—
Im Rheintalblog veröffentlicht am 16.11.2011
„Was macht denn eigentlich die Chronik?“
Die Frage bekomme ich in letzter Zeit öfter mal gestellt. Vor einigen Monaten hatte ich die Chronik ja schon als „zu 70% fertig“ tituliert, da ich den größten Teil tatsächlich fast fertig formuliert hatte. Aber wie das halt so ist, beim Drüberlesen mit ein paar Wochen Abstand fallen einem immer wieder Passagen auf, die man doch noch mal neu formulieren könnte oder das ein oder andere Detail, das doch noch näher beleuchtet werden sollte. Das ist allerdings ein Aspekt, der mich derzeit gar nicht aufhält – es ist die Recherche zum Zeitraum 1933-45. Ein Abschnitt der Wormatia-Geschichte, der, obwohl der erfolgreichste der Vereinsgeschichte, in bisherigen Festschriften (oh Wunder) gerne in wenigen Absätzen abgehandelt wurde. Das Abschneiden in der Deutschen Meisterschaft wird kurz erwähnt, dazu noch Seppel Faths Zamorra-Episode, die Namen Jakob Eckert, Atlant Kiefer und Tempel Hartmann fallen – fertig. Auswirkungen des Dritten Reichs auf den Verein? Fehlanzeige. Schon mal vom Reichsbahn TSV Wormatia gehört? Wer war denn im Vorstand zu der Zeit? Stadionumbau 1939? Viele Fragen, keinerlei Infos. Nach dem Krieg verdrängt, später schlicht vergessen, eine leere Stelle in der Chronik.
Es versteht sich von selbst, dass dies einen Schwerpunkt meiner Chronik darstellt. Und das bedeutet Recherche, Recherche, Recherche… Urlaub, Schließzeit des Stadtarchivs und Termine an meinem „Archiv-Freitag“ hatten diese zuletzt über Wochen ausgesetzt. Im Mai hatte ich zunächst begonnen, das Zeitungsarchiv nach Spielberichten zu durchsuchen. Mit 1939 fing ich in der Annahme an, bis 1945 schon mal schnell durch zu sein. Ein Irrtum, denn zu meiner Überraschung sind die Jahrgänge aus der Zeit nahezu komplett. Ich schrieb ja schon einmal darüber, zwei Monate habe ich am Ende gebraucht. Jetzt kann ich im Kapitel „Wormatia im Zweiten Weltkrieg“, wie mir scheint lückenlos, über die sportlichen Geschehnisse berichten. Doch wie sieht es mit dem Drumherum aus, der Politik, dem Vereinsgeschehen? Hier ist die Abteilung 99/1 „NS-Reichsbund für Leibesübungen“ im Stadtarchiv die erhoffte Fundgrube. 37 Akten sind erhalten, die ich zur Sicherheit an vier oder fünf Nachmittagen komplett durchgesehen habe. Selbst kleinste Informationshäppchen helfen, unklare Dinge besser zu verstehen, sodass die Erfolgserlebnisse erfreulich hoch waren. Aus der Festschrift von 1948 wusste ich beispielsweise lediglich, dass Präsident Georg Völker 1933 von Hans Stein abgelöst wurde. Die Frage nach dem „Warum“ beschäftigt mich seit Monaten. Neuwahlen gab es in allen Vereinen, allerdings mit der Empfehlung, den bisherigen Vorstand beizubehalten – ein politisches Motiv scheint da offensichtlich. War Georg Völker mit dem späteren Oberbürgermeister Heinrich Völker verwandt, der von den Nazis verfolgt wurde? Und warum taucht 1937 plötzlich ein Herr Ritzheimer offenbar als Steins Nachfolger auf?
Jede Woche sehe ich ein Stück klarer. Hans Stein (nicht zu verwechseln mit Ehrenpräsident Hans Walter Stein) war in der NSDAP, wie ich zügig erfuhr. „Seit wann“ und „warum“ wären nicht unwichtige Zusatzinformationen, schließlich war Stein nach dem Krieg nicht unwesentlich am Wiedererstarken Wormatias beteiligt – da möchte ich ungerne mit Vermutungen hantieren. In einem Schreiben aus den 50ern in völlig anderem Zusammenhang erfahre ich dann, dass sowohl Völker als auch Stein seit 1933 der NSDAP angehörten. Und im Falle von Stein schwingt eine gehörige Begeisterung mit, wenn man Zeitungsartikel zum 25jährigen Vereinsjubiläum und der Weihnachtsfeier 1933 liest. Derartige Huldigungen auf den Führer als Erlöser sind da zu lesen, dass man angesichts der damaligen Situation zu Steins Verteidigung noch wohlwollend mit Verblendung argumentieren kann.
Nichts zu rütteln gibts allerdings an Steins Nachfolger Jakob Ritzheimer, denn der wird bei der Recherche von Woche zu Woche brauner. Dass „Pg“ für „Parteigenosse“ steht, bringt mich schon mal in die richtige Richtung, dann entpuppt sich Ritzheimer gar als Mitglied im Stadtrat von 1933 bis 1945. Eine genauere Suche fördert dann ein Foto von Ritzheimer in SS-Uniform zutage und schließlich steht da bei einem weiteren Foto der lapidare wie unmissverständliche Hinweis „Chef der Wormser SS“. Richtig gelesen, geführt wurde Wormatia ab 1937 vom Chef der SS. Da erscheint die Fusion mit dem TSV der Reichsbahn ein Jahr später noch mal in einem anderen Licht. Was aus Ritzheimer wurde, bis wann er überhaupt im Amt war und warum, ist mir weiterhin unbekannt. (Update 12.03.2014: Siehe Chronik ff.)
Es gibt noch weitere Akten, die einen Blick lohnen. Die zur Entnazifizierung könnten interessante Einblicke geben, Stadtratsprotokolle und so weiter. Aber dann werde ich ja nie fertig… Jetzt kümmere ich mich verstärkt um den weniger politischen Teil der Jahre 1933-1939 und die Themen „Stadionumbau 1939“, „Deutsche Meisterschaft“ und den ominösen Südwestpokalsieg 1937. Das wird voraussichtlich weniger ergiebig, denn da gibt es einige Lücken im Zeitungsarchiv – die französischen Besatzer haben damals einen großen Teil zu Nachforschungszwecken eingesackt. Bis Weihnachten steht Kapitel 3 der Chronik online, dass muss ich mir jetzt einfach als Deadline setzen. Ursprünglich sollte ja die komplette Chronik bis dahin online stehen, im neuen Jahr gehts dafür schneller. Wobei dann die Sache mit dem Drüberlesen dazwischen kommt. Und die Geschehnisse 1945/46 oder Ende der 60er, letzteres gleichzeitig auch ArchivBub’sche Familiengeschichte, sind eigentlich noch einen genaueren Blick wert…
Im Rheintalblog veröffentlicht am 07.10.2011
Von der Freude am Tod
Ich kann mein Glück kaum fassen. Die Zeitungsjahrgänge 1939 bis 1945 liegen komplett mikroverfilmt im Stadtarchiv vor. Ausgerechnet die Kriegsjahre, aus denen ich höchstens Einzelausgaben vorzufinden erwartet habe, untauglich, um lohnenswerte Daten zu finden. Nun habe ich plötzlich Zugriff auf wirklich alles, selbst sämtliche Testspiele. Doch es ist schwierig, die eingesetzten Spieler in den Aufstellungen zu identifizieren: Es fehlen die Vornamen. Der altbekannte Mathias Kiefer taucht an allen Ecken und Enden selten ohne den Zusatz „der Matthes“ auf, der Vorname des Verteidigers Hartmann dagegen wird vier Jahre lang kein einziges Mal erwähnt. Bis er stirbt. Zu meiner Freude. In der Todesanzeige steht sein Vorname.
Ich sitze vor dem Bildschirm und lasse stundenlang die Bilder des Mikrofilms vor meinen Augen vorbeisausen. Die Schlagzeilen der Titelseiten nehme ich nur für Sekundenbruchteile wahr: „Der deutsche Soldat kennt keine Furcht“, „Churchills Lügen entlarvt“. Es interessiert mich nicht, ich stoppe erst im Lokalteil, wo die Sportartikel zu finden sind. Immer öfter bleibe ich auch auf den Seiten danach hängen, denn dort stehen die Todesanzeigen. Kleine Balkenkreuze zeigen an, wer „für Volk und Vaterland“ gestorben ist. Die Anzeigen beginnen oft mit: „Hart und schwer traf uns die schmerzliche Nachricht“. Ich weiß, dass Jakob Eckert, Wormatias junger Nationalspieler, bereits 1940 gefallen ist. Vielleicht entdecke ich seine Todesanzeige, ich könnte sie stellvertretend für Wormatias Kriegstote in die Chronik einbauen. Ich finde sie, sogar ein Nachruf ist dabei. Eckert ist der erste bekannte Wormser Fußballer, der auf dem „Felde der Ehre“ gefallen ist, wie ich daraus erfahre. Ich weiß, dass noch weitere folgen werden. Dass fünf Jahre später britische Bomber Worms in Schutt und Asche legen. Hatten die Leser der Zeitung 1940 eine Ahnung von dem, was noch kommen würde? Neben den Todesanzeigen wird für Kinofilme geworben, Schuhe, Bier. „Schön ist’s bei den Soldaten“, wird der große Manöverball der Wehrmacht im 12 Apostel angekündigt. Eintritt 50 Pfennig. Tanz frei!
Wochen und Monate ziehen so vor meinen Augen vorbei, die Seiten mit den Todesanzeigen werden voller. Der junge Torwart Rickel wird eingezogen und steht nicht mehr zur Verfügung, steht in einem Artikel. Ich kenne seinen Vornamen nicht, seinen Geburtstag. Ein unbefriedigend lückenhafter Datensatz. Wenn er stirbt, kann ich diesen vielleicht füllen. Ich durchforste die Anzeigen nach bekannten Namen, halte inne, wenn ich einen entdecke und bin enttäuscht, wenn es doch ein anderer ist. Da! Rickel! Wormatia betrauert einen ihrer besten jungen Sportsleute! Ich triumphiere und balle innerlich eine Siegesfaust. Glücksgefühle wie die eines Schatzjägers. Jetzt kenne ich seinen Vornamen und wenigstens sein Alter. „07/1940 – 12/1941 Wormatia Worms, verstorben am 15.12.1941“. Haken dran. Die Anzeige gibt mir weitere Infos: Er hieß Albert, seine Frau Gertrude, das Töchterchen Monika. Er war 20 Jahre alt, erlag in einem Feldlazarett einer schweren Verwundung. Es sind Details, die meine Gedanken wieder einordnen. Hier starb ein Mensch, kein Datensatz, im tiefsten Winter verreckt irgendwo im Osten, weit weg von seiner Familie.
Ich suche weiter. 1942, 1943, 1944, 1945. Die Spielberichte werden kürzer, nennen nur noch das Wichtigste. Immer wieder finde ich bekannte Namen in den Todesanzeigen. Nicht nur Fußballer, auch typische Wormser Nachnamen, Namen von Arbeitskollegen. Die Großväter? Balkenkreuze, seitenweise. Keine Werbung mehr. Stattdessen Tipps zum Strecken von Hefe, zur richtigen Verteilung der Fleischration an die Kinder. Dann halte ich inne:
Ich bin angewidert und mir vergeht die Lust, weiterzusuchen.
Die Zeitungen bestehen jetzt nur noch aus zwei Seiten, über Worms fliegen die ersten englischen Bomber. Es ist der Februar 1945. Die Schlagzeile triumphiert dagegen blind: „Gegenoffensive an der Ostfront!“. Ein paar Wochen später erscheint die letzte Zeitung. Der Verteidiger Hartmann ist bereits längst tot. Er starb am 8. März 1944, kurz vor seinem 29. Geburtstag. Sein jüngstes Kind bekam er nie zu Gesicht. Feldwebel, sieben Jahre im Dienst, begraben auf einem Heldenfriedhof im Osten. Überzeugter Nationalsozialist? Stolzer Soldat? Ein Mensch. Von den Mannschaftskameraden „Harter“ genannt. Sein Name war Ernst.
Im Rheintalblog veröffentlicht am 15.07.2011
Ein Tag im Stadtarchiv – Recherche zur Saison 1941/42
Den vergangenen Freitag konnte ich dank Urlaub für ausgedehnte Recherchen nutzen, also hatte ich mich einmal mehr im Wormser Stadtarchiv einquartiert. Ich möchte mal kurz berichten, was ich da eigentlich so mache. Von 10 bis 17 Uhr war dies hier mein Arbeitsplatz:
Das Gerät, das in diesem kleinen Kabuff zu sehen ist, ist ein sogenannter „Reader-Printer“ – zu deutsch „Mikrofilm-Rückkopiergerät“. Der Name erklärt auch schon die Funktion: Auf Mikrofilm gebannte Dokumente können gelesen und ausgedruckt werden. Man kennt das aus Krimis und Horrorfilmen, wenn die Hauptdarstellerin investigativ nach ungeklärten Mordfällen sucht und alte Zeitungen durchscrollt. Ich durchsuche ebenfalls alte Zeitungen, allerdings nach Wormatia-Artikeln. Das ist je nach Zeitung und Jahr mal frustrierend, mal äußerst erfolgreich.
Zunächst ein kurzer Überblick über die Wormser Zeitungslandschaft der Vorkriegszeit. Die Wormser Zeitung, heute einzige kostenpflichtige Lokalzeitung, hatte damals noch einige Gesellschaft. Ab 1901 erschienen die katholisch-konfessionellen „Wormser Nachrichten“, zwischen 1932 und 1936 unter dem Namen „Wormser Echo“. Die sozialdemokratische „Volkswacht“ war von 1920 bis zum Verbot der Nazis 1933 auf dem Markt. Nachrichten/Echo und Volkswacht spielten allerdings keine große Rolle und sind für meine Zwecke auch weniger geeignet. Interessanter ist die „Wormser Volkszeitung“, dem großen Gegenspieler der WZ. Diese erschien von 1898 bis zur Fusion mit der WZ 1936 und hatte in den 20er und 30er Jahren eine Auflage von 8-10.000 Stück täglich, sieben Tage die Woche. Das hatte sie der hervorragenden „Mittelrheinischen Sportzeitung“ (MSZ) zu verdanken, die als Beilage zwei Mal die Woche enthalten war.
Tja, und das ist mein Pech! Die Jahrgänge 1923 bis 1926 beispielsweise liegen zwar komplett vor, doch die MSZ fehlt zu 99%. Das führt dazu, dass ich zwar immer schön die Vorberichte entdecke, aber anschließend mit Glück nur das Ergebnis in Erfahrung bringen kann. Das ist ein Problem, mit dem ich im Vorfeld nicht gerechnet hatte… Genauso wenig hatte ich allerdings damit gerechnet, dass ich aus den Kriegsjahren großartig etwas recherchieren kann. Zu meiner Überraschung liegt jedoch die „Wormser Tageszeitung“ von 1939 bis 1944 vollständig vor. Die WTZ erschien erstmals 1924 und war zunächst völlig bedeutungslos, wurde dann jedoch dank ihres deutschnationalen Kurses 1933 zum Amtsverkündigungsblatt. Was auch erklärt, warum diese von 1935 bis 1945 fast vollständig vorliegt. Zeitweise war sie nach der Einstellung der WZ im Jahre 1943 die einzige Zeitung in Worms. Da ich gerade in den Kriegsjahren recherchiere, ist die WTZ meine erste Wahl. Hier finde ich zuverlässig zahlreiche nützliche Artikel, zudem sind die Spielberichte wortgleich mit denen der WZ. Am Freitag war die Saison 1941/1942 an der Reihe. Sehen wir uns einmal das Mikrofilm-Rückkopiergerät aus der Nähe an.
Die schwarze Rolle unter dem Bildschirm enthält den Mikrofilm (in diesem Fall die Wormser Tageszeitung von Juni bis Dezember 1941), dieser führt unter dem Objektiv hinweg nach rechts auf eine Spule. Mit dem Hebel unter der Spule kann ich die ganze Aparatur vor und zurück schieben, was hoch und runter auf dem Bildschirm entspricht. Der Regler weiter rechts vor dem grauen Kasten (der das Kopierpapier enthält) spult den Film vor und zurück. Der Regler am Monitor hat je nach Einstellung die Funktionen vergrößern/verkleinern, scharf stellen und drehen. Auf dem Bildschirm kann ich bequem die Negative von zwei Doppelseiten der Zeitung sehen. Entsprechend scharf gestellt, kann ich so mittlerweile recht zügig die Zeitung nach interessanten Artikeln „abscannen“. Spielberichte drucke ich aus (der grüne Knopf rechts unten), alle anderen weniger wichtigen Artikel fotografiere ich direkt vom Bildschirm ab. Das funktioniert mit meiner NIKON D90 (Einstellung: Dokumentenkopie) erfreulich gut und reicht für meine Zwecke völlig aus.
Auf diese Weise durchforste ich dann eine komplette Saison von Juni bis Juli, was ca. 5-6 Stunden, also normalerweise zwei Freitagnachmittage dauert (den hab ich – öffentlicher Dienst – normalerweise frei). Doppelt so lange brauche ich übrigens, wenn ich die Zeitungen „richtig“ per Hand durchblättere. Zuhause dauert die Auswertung des Materials dann nochmal etwa 7-8 Stunden. Auswertung heißt: Alle Artikel durchlesen, Spieldaten in die Datenbank eintragen, Spielerstatistiken anfertigen und ebenfalls in die Datenbank eintragen.
Nichts Spektakuläres also, vielmehr eine Fleißarbeit. Soweit mir bekannt ist, gibt es Spieldaten aus der Gauligazeit allerdings nur vereinzelt zu sehen (Eintracht Frankfurt und Fürth haben ein hervorragendes Online-Archiv), von daher ist das auch Pionierarbeit.
Das Ergebnis von Freitag, die komplette Saison 1941/1942, ist bereits auf wormatia.de zu sehen:
– alle 8 Freundschaftsspiele
– alle 3 Tschammerpokal-Spiele
– alle 10 (9) Spiele der Gauliga Hessen-Nassau
– Liste der eingesetzten Spieler
Ab Dienstag (immer noch Urlaub) geht es mit der Saison 1942/43 weiter, von der ich am Freitag immerhin schon mal Juli und August durchsehen konnte. 1943/44 folgt am Mittwoch, 1944/45 am Freitag und dazwischen gibt es noch einen kurzen Besuch im Fotoarchiv. Dann sollte ich mich endlich Teil zwei der Chronik widmen, der zwar schon weitgehend fertig war, aber nochmal eine Generalüberholung braucht. Nachher (oha, schon so spät) steht aber erstmal der Trainingsauftakt auf dem Programm. Dann ist die Gegenwart wieder wichtiger.
Im Rheintalblog veröffentlicht am 26.06.2011