„Wormatia ist eine ältere Dame geworden“
So beschrieb Ex-Präsident Dr. Heino Eckert, mittlerweile Schatzmeister beim DFB, den Verein bei der Mitgliederversammlung 1954. Die nochmalige Teilnahme an der Endrunde um die Deutsche Meisterschaft ein Jahr später war nur ein Zwischenhoch, tatsächlich ging Wormatias ganz große Zeit auf dem Weg zu ihrem 50. Geburtstag zu Ende. Die Geburt der „Alten Dame“ Wormatia, des „weisst du noch?“, des „damals“ und „früher“.
Auch Ludwig Müller konnte die großen Erfolge nicht mehr wiederholen. Nach der Vize-Meisterschaft wurde es 1955/56 wieder nur Platz elf, danach Rang neun und 1957/58, unter dem neuen Trainer Willibald Kreß, immerhin ein hoffnungsvoller fünfter Tabellenplatz. Doch die Erfolglosigkeit trübte die Stimmung, Georg Völker war durch dauernde Anschuldigungen ermüdet und trat als Präsident zurück, sein Nachfolger wurde Hans-Walter Stein (der es auch bis 1970 bleiben sollte). Heinz Haarmann war als Vorsitzender bereits im September 1956 beurlaubt worden, hatte es doch Unstimmigkeiten mit einem von Hans Stein bis zu dessen Tod zwei Jahre zuvor alleine verwalteten „Sonderkontos“ gegeben. Haarmann nahm in der Wormser Zeitung Stellung:
„Dies [= die Erreichung der sportlichen Ziele] war nur durch eine gewisse Großzügigkeit zu schaffen, die Maßnahmen erforderte, welche heute als ‚unbelegte Ausgaben’ mit meinem Namen in Verbindung gebracht werden.Wenn dafür schon ein Sonderkonto die Grundlage abgeben mußte, so haben dazu die gegebenen Verhältnisse gezwungen.“
Diese „gegebenen Verhältnisse“ galten natürlich auch andernorts und so waren Schwarzgelder im damaligen Fußballdeutschland nicht gerade unüblich. Richtig Ärger bekam z.B. der HSV 1953 bei der versuchten Verpflichtung des Bremers Willy Schröder, dem man ein Handgeld in Höhe von 15.000 Mark zukommen ließ. Offiziell durften Spieler nach dem Vertragsspielerstatut nur 400 Mark monatlich verdienen, was auch in zahlreichen anderen Fällen mit höheren Bezahlungen unter der Hand umgangen wurde. Oder wie Der Spiegel in der Ausgabe 35/1963 schrieb: „Nun scheint es allerdings wie das Biertrinken zur Tradition des deutschen Fußballsports zu gehören, die Bestimmungen über finanzielle Entgelte der Spieler zu durchbrechen.“
Die durch den zuletzt erreichten fünften Platz geweckten Hoffnungen wurden nicht erfüllt, sondern bitterlich enttäuscht: In der Saison 1958/59 schrammten die Wormaten knapp am Abstieg vorbei. Sechs Punkte (umgerechnet neun) aus den ersten fünf Spielen waren noch ordentlich, doch es folgten dreizehn sieglose Spiele und Wormatia rutschte auf den vorletzten Tabellenplatz. Vier Monate nach dem letzten Sieg war am 18. Januar 1959 der 1.FC Saarbrücken zu Gast, der sich noch vage Hoffnungen auf die Endrunde machte. In einem denkwürdigen Spiel wurden die Saarländer 8:2 geschlagen. Dabei gingen die Gäste nach einer Viertelstunde in Führung, doch schon zwei Minuten später gelang der Ausgleich und als Helmut Oswald mit seinem Treffer zum 2:1 das Spiel drehte, erlitt ein Zuschauer auf der Tribüne einen Herzanfall. Nach der Pause überrannten die Wormaten ihren Gegner und führten nach einer Stunde mit 5:1, aber dann drohten die sicher geglaubten Punkte durch einen Spielabbruch zu entgleiten: Helmut Oswald hatte gerade seinen dritten Treffer erzielt, da trat er im Überschwang der Gefühle den (vom Torwart aus gesehen) linken Torpfosten durch. Die Festschrift von 1968 erinnert sich:
„Keiner wußte, was in dieser Situation geschehen sollte. Der Schiedsrichter unterbrach das Spiel und gab eine kurze Zeit zur Beseitigung des Fehlers. Wie stürmten da unser Hannes Kern mit einigen Helfern auf das Spielfeld!! Ich glaube, ohne unserem Hannes zu nahe treten zu wollen, daß er noch nie so schnell gearbeitet hat. Er schaffte es jedenfalls, diese Panne zu beseitigen. Innerhalb der gesetzten Frist war das Tor repariert, und das Spiel konnte weitergehen. Der Sieg war gerettet und damit zwei wichtige Punkte gewonnen. Man sieht an diesem Beispiel, wie sehr die Tatkraft und der Einsatz einzelner das Geschick eines Vereins bestimmen können, denn ohne diese beiden Punkte wäre wahrscheinlich der Abstieg damals besiegelt gewesen.“
Vgl. Vereinsgeschichte. Die letzten 10 Jahre, in: Festschrift 60 Jahre VfR Wormatia Worms, Deutschland: Girbinger Worms, 1968, S. 35
Tatsächlich gab der Sieg enormen Auftrieb, denn von den folgenden fünf Spielen wurden vier gewonnen, was das Punktepolster im Abstiegskampf entscheidend anwachsen ließ.
In den Sechzigern ging es wieder aufwärts, nicht überwältigend, aber stetig. 1959/60 und 1960/61 brachten jeweils Platz sieben, mit dem neuen Trainer Radoslav Momirski ging es danach weiter voran. Dieser lockte gleich mehrere jugoslawische Nationaltorhüter nach Worms. Der legendäre Petar Radenkovic machte zwar nur dreizehn Spiele für Wormatia, wurde danach aber bei 1860 München zur Kultfigur „Radi“ („Bestes Torhüter von Welt“). Srboljub Krivokuca, WM-Teilnehmer 1958 und 1962, und Slavko Stojanovic lösten ihn ab. Als Krivokuca (15 Länderspiele) nach einem Jahr nach Jugoslawien zurückkehrte, wurde Stojanovic (13 Länderspiele) Stammtorhüter und Teenager-Idol. Zum Leidwesen der Wormser Frauen war der sympathische „Stojan“ allerdings bereits verheirateter Vater. Daher gab es für seinen Wechsel nach Deutschland auch einen privaten Grund, die bessere ärztliche Versorgung für seine an spinaler Kinderlähmung erkrankte Tochter Branca. Der gelernte Schreiner arbeitete zunächst im Lager des Monsheimer Eisenwarenladens Bub, trainierte nach seiner aktiven Zeit und über 150 Spielen für Wormatia die 1b, Germania Eich und die TSG Pfeddersheim und führte auch lange Jahre als Gastwirt das Wormatia-Clubheim.
Mit Momirski an der Seitenlinie und Radenkovic bzw. Horst-Dieter Strich im Tor wurde Wormatia am Ende der Saison 1961/62 Fünfter. Ein Anreiz für den Aufschwung: Die Bundesliga. Im Juli 1961 beschloss der DFB, die Einführung einer Eliteliga ernsthaft zu prüfen und ein halbes Jahr später war man sich weitgehend einig über die Gründung der neuen Bundesliga. Das gültige Spielsystem hatte seit langem Probleme. Die Qualität der Oberligaspiele nahm bundesweit von Jahr zu Jahr ab, da das Leistungsniveau der Mannschaften zu unterschiedlich war. Spitzenteams trafen zu selten, also erst in der Endrunde aufeinander. Das Publikumsinteresse sank entsprechend, die Vereine gerieten in finanzielle Nöte. Die Bundesliga sollte diese Probleme lösen und die Spieler dort statt 400 Mark bis zu 1.200 Mark verdienen dürfen. Als Unterbau waren Regionalligen statt Oberligen geplant, darunter allerdings eine klare Grenze zum Amateur-Fußball ohne Ab- oder Aufstieg. Ganz so radikal war die im Juli 1962 beschlossene Umsetzung dann aber doch nicht.
Der Qualifikationsmodus war noch nicht ganz klar, ebenso der finanzielle Aufwand, aber auch Wormatia interessierte sich natürlich für die neue Premiumliga. Neben Krivokuca und Stojanovic für das Tor sollten die Sturmtalente Werner Stein von Alemannia Aachen und Harald Braner aus der eigenen Jugend sportlichen Erfolg für 1962/63 bringen. Braner überraschte mit 18 Saisontreffern und auch Stein hatte nach drei Spielen überzeugt, brach sich aber im vierten Spiel beim Siegtreffer in Neuendorf das Schienbein und wurde Sportinvalide mit 22 Jahren. Während der Saison wurde klar, dass es nichts mit der Bundesliga wird, auch eine bessere Platzierung als der letztlich erreichte vierte Rang – punktgleich mit Vizemeister Neunkirchen – hätte nichts daran geändert. Wobei man es mit einem 10:0-Sieg am letzten Spieltag in die allerletzte Endrunde um die Deutsche Meisterschaft hätte schaffen können. So endete 1963 mit der Einführung der Bundesliga nach 18 Jahren die Zeit der legendären Oberliga Südwest und die Wormaten wurden zweitklassig.