Not macht bekanntlich erfinderisch. Kräftig erhöhte Mitgliedsbeiträge reichten zur Kompensierung der drastisch gesunkenen Zuschauereinnahmen nicht aus und so mussten eben die Werbeeinnahmen auf irgendeine Art gesteigert werden. Werbedurchsagen waren längst üblich, Bandenwerbung war durch die Stadt untersagt (denn das beeinträchtige die Schönheit des Wormatia-Stadions) und ein spendabler Mäzen wie andernorts war nach wie vor nicht in Sicht. Vielleicht wäre es ja möglich, ähnlich wie die Radrennfahrer Trikot und Hosen mit Werbung zu versehen? Vielerorts war die Spielkleidung noch gänzlich unbefleckt, weder Wappen noch Schriftzug, sondern lediglich die Farben wiesen auf die Identität der Mannschaft hin (derart „anonyme“ Trikots waren selbst zu Oberligazeiten Anfang der 90er noch zu sehen). Eine Nachfrage beim DFB ergab, dass die DFB-Satzung keine Regelung für einen solchen Werbefall vorsah. Bisher war in Fußballdeutschland einfach noch niemand auf diese Idee gekommen. Und so liefen zwei Tage später am 20. August 1967 gegen den SV Alsenborn vor 3.500 Zuschauern elf „kickende Litfaßsäulen“ mit dem Werbeschriftzug des US-amerikanischen Baumaschinenherstellers Caterpillar auf den Rasen des Wormatia-Stadions.
„Geht Wormatia als Wegbereiter einer neuen Ära mit amerikanischem Zuschnitt in die deutsche Fußballgeschichte ein oder schiebt der DFB der von Wormatia erstmals praktizierten lebendigen Werbung einen energischen Riegel vor?“
(Wormser Zeitung, 23. August 1967)
Der DFB nahm das Thema sofort in die Tagesordnung seiner Vorstandssitzung am 1./2. September in München auf. Bis zur Entscheidung entspann sich eine bundesweite Diskussion. Befürworter wiesen auf Bayer Leverkusen und Opel Rüsselsheim hin, die Werbung sogar im Namen führten. Außerdem trugen Leverkusener Spieler schon lange einen Brustring mit Bayer-Kreuz, kickten bekanntlich aber auch für eine Werksmannschaft. Rüsselsheim trug dagegen „nur“ den Namen der örtlichen Automobilwerke, hätte bei passendem Angebot aber auch die Brust zur Verfügung gestellt. Viele Vereine finanzierten sich durch großzügige Mäzene aus der Wirtschaft. Doch anders als im Ski-, Rad- und Rennsport wurden solche Zahlungen im Fußball üblicherweise nicht offensiv nach außen kenntlich gemacht. Sollte sich das ändern? „Wer das will, muß es allerdings offen sagen und sich auch im Namen seines Vereins offen zu seinem Mäzen bekennen. Bei Wormatia Worms denkt wohl niemand daran, in Zukunft unter ‚Caterpillar Worms‘ zu firmieren“, beschied die WZ. Auch die bundesweite Presse war eher skeptisch bezüglich des „eigenartigen wie eigenwilligen Erschließens neuer Geldquellen“ (Stuttgarter Zeitung):
„Wormatia Worms tat einen energischen, wenn auch nicht gerade sympathischen Schritt zur weiteren Kommerzialisierung des Leistungssports. Ob es uns gefällt oder nicht, die Tabus eines traditionellen Idealismus werden immer stärker abgebaut. […] Es ist eine andere Frage, ob man in Worms nicht einen Schritt zu weit gegangen ist.“
Die Welt, 24. August 1967
„Das Wormser Beispiel [wird] Schule machen […]. Möglicherweise kommt Ferdi Mühlens, Großmäzen des Kölner Regionalligaklubs Viktoria, auf die Idee, das Firmenzeichen seiner Duftstoffabrik auf die Hemden der Spieler sticken zu lassen. Dann nämlich könnte er über den Werbeetat seiner Firma bezahlen, was er bisher aus der privaten Brieftasche verschenkte.“
Kölner Stadtanzeiger, 24. August 1967
„Man bedenke, welche Möglichkeiten sich da erst den Bundesligavereinen eröffnen […]! 1860 München könnte sinnigerweise im Löwenbräudreß antreten und der VfB Stuttgart könnte sich von einem guten Stern auf die Siegerstraße führen lassen. Aber das alles wäre nur der Anfang. Eines Tages würde eine Firma einen ganzen Verein mit Haut und Haaren besitzen und sich vom Verband überhaupt keine Vorschriften mehr machen lassen.“
Stuttgarter Zeitung, 24. August 1967
Der DFB-Vorstand entschied sich rasch für ein Verbot. Das Sitzungsprotokoll hält unter dem Punkt „Firmenreklame auf der Spielkleidung, Angelegenheit Wormatia Worms“ fest: „Der Vorstand stellte dazu fest, daß das Tragen von Firmennamen, von Firmenzeichen und Werbeaufschriften auf der Spiel- und Trainingskleidung nicht zulässig sei und im Interesse der Aufrechterhaltung der sportlichen Ordnung und des Ansehens des Fußballsports verboten werden müsse. Die Verbände und Vereine sollten sogleich davon in Kenntnis gesetzt werden, daß die Spielkleidung nur den Vereinsnamen oder das Vereinsabzeichen und die Nummer des jeweiligen Spielers zeigen darf. Wormatia Worms solle aufgefordert werden, Firmenreklame auf der Spielkleidung sofort zu unterlassen. […]“
Explizit hieß es fortan ergänzend in der Satzung, dass die Spielkleidung nicht „durch zusätzliche Aufschriften zum Werbeträger gemacht werden“ darf. Sozusagen eine „Lex Wormatia“, die in der Presse positiv aufgenommen, von den weitsichtigen Vertretern aber auch als ledigliche Verzögerung des unaufhaltsamen Fortschritts erkannt wurde:
„Sportkleidung [kann] über die Werbung für den Namen des eigenen Vereins hinaus nun einmal kein guter Werbeträger sein […] denn als sich die sportlichen Erfolge während der ersten drei Spiele nicht einstellen wollten, bedauerte und belachte man nicht nur die Spieler, sondern zwangsläufig auch das Produkt […].“
Trierischer Volksfreund, 6. September 1967
„Der (Alp-)Traum, daß bald ein Werbe-Kicker für Kaugummi gegen einen Reklame-Torwart für Zahnprotesen zum Elfmeterduell antritt, ist damit ausgeträumt. Das Verbot war zu erwarten. Wormatia Worms wird keine Nachfolger haben. […] Der ‚Werbe-Fall Worms‘ sollte deshalb ein Schreckschuß sein. Es müßten schnell entscheidende Dinge geschehen, um den deutschen Fußball zu reorganisieren und damit finanziell zu gesunden. Mit einem Wort: Schafft endlich die zweite Bundesliga.“
Bild-Zeitung, 6. September 1967
„Was in Worms geschah, ist die konsequente Entwicklung in der Welt der Athleten unserer Tage: […] Die Gefahr ist leicht benannt: Verlangt eine Firma, die für Haarwuchs-Präparat wirbt, vom Trainer mit Erfolg, der großartige, aber glatzköpfige Linksaußen sei durch einen vollen Lockenkopf zu ersetzen, dann hat sich der Sport prostituiert.“
Die Welt, 6. September 1967
„Wir meinen, daß die Entwicklung auch durch ein DFB-Machtwort nicht aufzuhalten sein wird. Wer heute zum Profisport ja sagt, kann sich verschiedenen Konsequenzen […] nicht verschließen. […] Sind sich erst einmal die 18 Bundesligisten in Fragen einig, wo aus Wirtschaftskanälen entsprechend hohe Summen fließen, dann werden die DFB-Argumente […] zerpflückt. Entscheidend im Profisport ist und bleibt auch in den nächsten Jahrzehnten die Leistung, trotz allen zirzensischen Beiwerks.“
Süddeutsche Zeitung, 9. September 1967
Damit war die Werberevolution im Fußball erst einmal ausgesetzt: Trikots und Hosen wurden an die Hockeyabteilung weitergereicht und dort aufgetragen. Mehr als fünf Jahre hielt das Verbot der Trikotwerbung, bis der geschäftstüchtige Schnapshersteller Günter Mast clever die Satzung austrickste. Per Mitgliederbeschluss ersetzte bei Eintracht Braunschweig einfach der Jägermeister-Hirsch den Löwen im Vereinswappen. Auch diese Variante verbot der DFB zunächst. Weil die Anbringung eines Wappens aber explizit erlaubt war, mussten dafür Alternativgründe, wie nicht konforme Größe und Beschriftung des Emblems herhalten. Mast ging werbewirksam vor Gericht, der DFB knickte letztlich ein.
Sportlich half die ganze Episode dem VfR übrigens nicht weiter. Auch mit dem neuen Trainer Karl-Heinz Schmal richtete man den bangen Blick wieder auf die Abstiegsränge, konnte sich aber frühzeitiger retten als im Vorjahr und belegte am Ende der Saison 1967/68 Platz zwölf.