DIE KICKERS FLIPPEN AUS Für die Stuttgarter Fans lief an diesem Tag – ebenso wie bei ihrer
Mannschaft auf dem Platz – so gar nichts nach Plan. Da fährt man,
nachdem man zuvor Eintracht Frankfurt II (4:0) und den FSV Frankfurt
(7:2) vom Platz gefegt hatte, zum Tabellenletzten und rechnet mit einem
lockeren Auswärtssieg mit feucht-fröhlicher Heimfahrt und bekommt
stattdessen von einem haushoch überlegenen Schlusslicht ein 3:0
eingeschenkt. Dass dies Frust auslöst, ist nachvollziehbar. Nicht
nachvollziehbar ist jedoch, dass nach dem 2:0-Führungstreffer für die
Wormatia ein gutes Dutzend Stuttgarter den Zaun ihres Blockes
überkletterten und die Aschenbahn stürmten, weil sie sich von
zehnjährigen Balljungen provoziert gefühlt hatten, die ihnen im
Anschluss an Oppermanns Tor den Stinkefinger gezeigt haben sollen. Die
Sicherheitskräfte von SES-Security hatten in der Folge ihre liebe Mühe,
die Stuttgarter wieder einzufangen (siehe Bild 1). Von der Polizei war während dieser Ausschreitungen rein gar nichts zu
sehen. Erst als sich die Situation etwas beruhigt hatte und alle
Krawallbrüder wieder von den Sicherheitskräften eingefangen waren, kamen
gemächlichen Schrittes drei Beamte der örtlichen Polizei. Aber nicht
etwa, um die Rädelsführer der Stuttgarter in Gewahrsam zu nehmen oder
deren Personalien zu erfassen, sondern um diese anzuhalten, sich doch
wieder zurück in ihren Gästeblock zu begeben. Nebenbei bemerkt: So
etwas gibt es in keinem Fußballstadion, dass Gästefans einen Platz
stürmen und anschließend, ohne jegliche Sanktionen, wieder auf gleichem
Weg zurückklettern dürfen. Ein paar Tage später gab die Wormser
Polizeichefin Tina Horn in der WZ an, „nur vorsichtshalber habe man
überhaupt zehn uniformierte Polizisten und zwei Zivilbeamte ins
Stadion geschickt.“ Wie auf Bild Nr. 2 eindeutig zu erkennen ist, waren wenige Minuten nach
Ausbruch des Platzsturms lediglich drei uniformierte Beamten am
Tatort, wo die anderen sieben zu diesem Zeitpunkt gewesen sein sollen,
ist nicht bekannt. Am Tatort der Ausschreitungen jedenfalls nicht.
Zudem gab besagte Polizeichefin zu bedenken, dass die „einheimischen
Ultras-Anhänger gerne und lautstark provozieren“. Damit hat sie sogar
Recht, denn im Anschluss an den versuchten Platzsturm der offensichtlich
schlechten Verlierer skandierten die Wormser Fans ein unüberhörbares
„Stuttgarter – Arschlöcher“ in das weite Runde des Wormatia Stadions.
Allerdings erst, nachdem die Kickers Fans sich in einem fremden Stadion
wie die Wildschweine aufgeführt hatten. Und Entschuldigung, aber wer
aus Frust über einen Gegentreffer kleine Kinder verprügeln will, für den fällt auch mir spontan keine passendere Bezeichnung als „Arschloch“ ein. DER ENTSCHEIDENDE FEHLER Man kann den Wormser Fans in diesem Zusammenhang zwar vorwerfen, die
Stuttgarter verbal attackiert zu haben, jedoch eine handgreifliche
Konfrontation suchte keiner der Ultras. Dabei wäre es zu diesem
Zeitpunkt ein Leichtes gewesen, von der Vortribüne aus, wo die
Supporters seit einigen Spielen wieder stehen, die bauchhohe Absperrung
zu überwinden, ebenfalls die Aschenbahn zu stürmen und den Schwaben
entgegen zu rennen. Von den Sicherheitskräften wäre man sicherlich nicht
aufgehalten worden, denn die waren ja gerade mit fast allen Mann auf
der anderen Seite mit den Stuttgartern beschäftigt. Aber warum sollten
die Wormser Fans ausflippen? Die kommentierten das Verhalten der
Gästefans eher mit einem Kopfschütteln, schließlich hatte die
Heimmannschaft in einem begeisternden Spiel gerade die Vorentscheidung
erzielt. Der entscheidende Fehler ist jedoch genau zu diesem Zeitpunkt den Beamten der Wormser Polizei unterlaufen. Denn spätestens jetzt, nachdem die Stuttgarter zum ersten Mal auffällig
geworden waren, hätte man Verstärkung rufen müssen, weil zu befürchten
stand, dass die völlig gefrusteten Stuttgarter ihren Block nicht
problemlos verlassen würden. Zudem hatte das Verhalten einiger Anhänger
eindeutige Anzeichen dafür geliefert, dass eben nicht nur „friedliche
Fans“ mitgereist waren. Zu allem Überdruss erzielte wenige Minuten
später der Wormser Kevin Wittke auch noch das 3:0, was die Stimmung auf
beiden Seiten noch mehr steigerte: bei den einen in Euphorie und
Schadenfreude, bei den anderen in noch größeren Frust. Kaum war der Schlusspfiff erfolgt, musste zunächst das Stuttgarter Team
die verbale Schelte seiner Anhänger aushalten, ehe diese dann
anfingen, den eigenen Block auseinander zu nehmen und mit Latten,
Steinen und Stangen zu werfen. Zudem begannen auch schon die ersten,
die Zäune zur Gegengerade zu überwinden (siehe Bild 3). Das ist nicht
etwa dort, wo der von der Polizei als „gefährlich“ eingestufte harte
Kern der Wormatia-Fans steht, sondern auf dieser Seite standen Rentner,
normale Fans und vor allem die Schüler mit ihren Freikarten. Übrigens:
Ginge es nach der Wormser Polizeichefin Horn, würde man die Wormser
Supporters am liebsten wieder genau dorthin – nämlich auf die
Gegengerade – verfrachten. Zum Glück hatte Frau Horn diese Idee nicht
vor dem Spiel gegen die Stuttgarter Kickers, denn dann wäre die
Situation tatsächlich eskaliert, da zwischen Gästeblock und Gegengerade lediglich noch ein wenige Meter breiter Puffer
besteht, in dem bei den „Rot-Spielen“ ein paar Dutzend Polizisten
stehen. Aber da dieser Puffer diesmal leer war, hätten die beiden
Fangruppen relativ mühelos aufeinander prallen können… KONFRONTATIONEN NACH DEM SPIEL Warum der Polizeichefin Horn der Wechsel der Supporters von der
Gegengerade auf die Vortribüne ein Dorn im Auge ist, begründete sie in
der WZ mit Sicherheitsmängeln, da man von dem neuen (alten) Standort aus
relativ einfach – quasi „hinten rum“ – zum Gästeblock gelangt. An
besagtem Samstag wurde eine Konfrontation noch dadurch „erleichtert“,
dass hinter dem Gästeblock gerade ein Jugendspiel stattfand, weshalb das
Tor zum Kleinspielfeld offen stand und sich nach Spielschluss die
Sicherheitskräfte, ein paar Wormser und die nur durch einen Zaun
getrennten Stuttgarter direkt gegenüber standen. Hierbei soll laut
Augenzeugenberichten eine verschlossene Tür des Stuttgarter Blocks in
Richtung des Kleinspielfeldes durch den Druck aufgegangen sein, weshalb
es für einige Sekunden zu Handgreiflichkeiten zwischen einer Handvoll
Stuttgarter und ebenso vielen Wormsern gekommen sein soll. Wie bereits
während des Spiels hatten die Männer von SES-Security mit Unterstützung
einiger herbeieilender Polizisten die Situation relativ schnell wieder
im Griff und drängten die Schwaben zurück in ihren Block. Spätestens
jetzt wurden die Forderungen der durch die Tumulte angelockten
Schaulustigen, die gerade auf dem Weg zur Pressekonferenz oder ins
Vereinsheim waren, immer lauter: „Jetzt ruft doch endlich mal Verstärkung!“ Spätestens nach dem Platzsturm eine Viertelstunde vor Schluss hatten
sowieso die meisten der Zweitausend im Stadion fest damit gerechnet,
dass nun eine grüne Übermacht auftauchen würde, um für Ordnung zu
sorgen. In Internetfanforen der Kickers machte man sich anschließend
über das „provinzielle Verhalten einiger Bauern-Sheriffs“ lustig. So
will ein Zuschauer gesehen haben, dass ein Wormser Polizeiauto
mindestens drei Mal am Stadioneingang vorbei gerauscht sei, ehe man
Passanten gefragt hätte, wo genau denn „hinten“ sei, wo die Tumulte in
vollem Gange waren. Tatsächlich kam knapp 20 Minuten nach Spielschluss
ein einziges (!) Polizeiauto gefahren. Inhalt: Zwei Beamte,
offensichtlich Streifenpolizisten. Da aus dem Gästeblock immer noch
Gegenstände wie Latten, Steine oder Paletten flogen (die laut
Internetberichten der Stuttgarter angeblich zuvor die Wormser „Fans“
hineingeworfen hatten), schien man erst jetzt die erforderliche
Verstärkung anzufordern. Und so dauerte es bis über eine Stunde (!) nach dem Schlusspfiff, ehe man die
Stuttgarter endlich mit Unterstützung einer ausreichenden Anzahl an
Polizisten aus dem Block in ihre Fanbusse führen konnte. Hierbei soll
es dann – ohne Beteiligung von Sicherheitskräften oder Wormser Fans –
abermals zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Beamten und einigen
schwäbischen Schlachtenbummlern gekommen sein. DIE FRAGE NACH DER SCHULD Nur wenige Tage später verurteilten die Verantwortlichen der Stuttgarter
Kickers in einer Pressemitteilung die Ausschreitungen ihrer Anhänger
auf das Schärfste. Gleichwohl prangerte der Verein die „einseitige
Berichterstattung in den Wormser Medien“ an und zeigte sich „bestürzt
über das Verhalten des örtlichen Sicherheitsdienstes und der Polizei,
das nicht zur Deeskalation beigetragen hat.“ Der Verein weiter: „Hierbei
ist es zu massiven Fehlern im Umgang mit der Situation gekommen“. Von
eigener Schuld möchte die Wormser Polizeichefin Horn aber nichts wissen
und gab in der WZ an, dass der Polizei kein Fehler unterlaufen sei und
man habe von den Stuttgarter Kollegen keinen Hinweis erhalten, dass
mit Ausschreitungen zu rechnen gewesen wäre. Das ist aber nur die halbe
Wahrheit. Wie man wenige Tage später nebenbei einräumen musste, waren
mittlerweile Hinweise aufgetaucht, dass offensichtlich auch Anhänger
vom VfB Stuttgart und sogar vom befreundeten „Linzer AK“ aus Österreich
mit nach Worms gefahren waren, um ganz offensichtlich für Krawalle zu
sorgen. Dann hätten die Stuttgarter Kollegen allerdings genauso gepennt
wie die szenekundigen Wormser Beamten. Sinnvolle Folgerungen aus den Vorkommnissen Ganz klar: Aus den gemachten Fehlern müssen alle
Beteiligten lernen, damit sich so etwas nicht wiederholt. Eine Maßnahme
wäre zum Beispiel, das Tor zum Kleinspielfeld grundsätzlich
verschlossen zu halten, damit der Puffer zwischen Gästeblock und
eventuell anrückenden Wormsern gewahrt bleibt. Eine sinnvolle Maßnahme
wäre auch eine Erhöhung der Sicherheitskräfte, gerade in Spielen, wo
die Polizei nicht so stark vertreten ist. Und ein dritter Punkt wäre
sicherlich, die vor einiger Zeit installierte Überwachungskamera vor
dem Gästeblock auch tatsächlich mal zu benutzen. Die Steuerung der
Anlage erfolgt aus einem kleinen Zimmer in der Nähe der Sprecherkabine
und ist grundsätzlich Sache der Polizei. Eine Inbetriebnahme hätte
nicht nur den Vorteil, dass man anhand der Aufnahmen die Rädelsführer
unter den Gästefans ausmachen, sondern ebenso relativ frühzeitig auf
sich anbahnende Konflikte reagieren könnte. In einem Gespräch mit
unserem Magazin erklärte sich der Sicherheitsbeauftragte des
Vereins, Jan Donner, sogar dazu bereit, die Kamera von
Verantwortlichen des Vereins bedienen zu lassen, wenn dies von
offizieller Seite gewünscht werde. EINE ÜBERRASCHENDE WENDE Nach einem Runden Tisch aller Beteiligten kam dann die große
Überraschung, denn als wichtigste Maßnahme wurde von der örtlichen
Polizei angeordnet, dass die Sups ihren Platz auf der Vortribüne nur
behalten dürfen, wenn zusätzliche und höhere Zäune angebracht werden.
Somit soll verhindert werden, dass die Sups unkontrolliert mit
gegnerischen Fans in Kontakt treten können. Den Besuchern des Spiels
muss dieses Ergebnis der Krisensitzung wie die reinste Farce vorkommen,
weil man damit das Verursacher-Prinzip ad absurdum führt und sich
anscheinend partout nicht eingestehen will, dass man vielleicht selbst
nicht ganz glücklich gehandelt hat. Denn nochmal: Zwar haben sich alle –
auch einige wenige Wormser „Fans“ – nicht gerade mit Ruhm bekleckert,
aber der entscheidende Fehler basierte auf einer offensichtlichen
Fehleinschätzung der Situation durch die anwesenden Polizisten beim
erstmaligen Ausbruch der Ausschreitungen. Wenn man stattdessen die Fans
auf der Vortribüne für die Krawallen anderer bestraft, dann zieht man
schlichtweg die falschen Schlüsse aus den Vorgängen. Wie der zweite Vorsitzende Jan Donner uns gegenüber noch einmal
betonte, möchte man die Fans auf keinen Fall wieder von der Vortribüne
weg haben, da dies unüberhörbar förderlich für die Stimmung im Stadion
sei. Zudem könne man es einem Besucher ja nicht verbieten, eine Karte
für die Vortribüne zu kaufen. Trotzdem will man bei der Polizei hart
bleiben: Höhere Zäune sollen her! Als Augenzeuge der Geschehnisse vom
20. November im Wormatia Stadion gewinnt man den Eindruck, dass es
längst nicht mehr darum geht, die von allen gemachten Fehler zukünftig
zu vermeiden, sondern dass man es hierbei nur noch mit einer reinen
Machtdemonstration zu tun hat. Letztere wäre einer vernünftigen Lösung
sicherlich nicht zuträglich. Und übrigens: sich ab und zu mal Fehler
eingestehen, kann mitunter sogar menschlich wirken.
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