Kicker Sportmagazin: Zehn Eintrachtler kämpften gewaltig / Aber elf Wormser waren um das eine Tor zum 3:2 besser

31.01.1939

Schon oft haben wir zugesehen, wie die Frankfurter Eintracht in der Nibelungenstadt die Klingen mit den Wormaten kreuzte, und noch nie haben wir es erlebt, daß es den Gästen gelungen wäre, einen oder gar zwei Punkte an den Main zu entführen. Auch heute sind wieder die Platzherren Sieger geblieben. Aber noch nie sind sie so nahe am Rande einer Niederlage oder wenigstens eines Punktverlustes gewesen wie diesmal! Eine solche Eintrachtmannschaft hat in Worms bis zu diesem 29. Januar nicht gastiert! Alles hatte man erwartet: glänzende Leistungen der Riederwälder im Feldspiel, schöne Passings und geistreiche Aktionen. Ja, wer so etwas sehen wollte, ist noch nie enttäuscht vom Platz gegangen, wenn die Eintracht der Gegner war. Daß sich aber die Frankfurter einsetzen würden bis zum Umfallen, daß sie kämpfen würden um jeden Zoll Boden bis zum letzten Augenblick, das hätte niemand gedacht … und jeder mußte sich von dieser Tatsache diesmal dennoch überzeugen. Man kann die Reportage über diesen Großkampf nicht anders beginnen als mit einem uneingeschränkten Lob für die Eintrachtler. Wenn das Wort: „In allen Ehren untergegangen!" je auf eine Mannschaft zugetroffen hat dann heute auf diese neuneinhalb Kämpfer in Schwarz-Rot, die zum Schluß wohl geschlagen, aber hoch erhobenen Hauptes aus der Arena abtraten.

Das war das bedauerliche Signum dieses Ereignisses: als der zweite Akt begann, erschien die Eintracht nur mit neun Spielern auf dem Felde. Der linke Läufer Künz war schon ziemlich früh bei einem Sturz lädiert worden und hatte dann, bis er kurz vor der Pause ausschied, auf Linksaußen sich schlecht und recht durchs Fußballdasein geschlagen. Und in der 4. Minute war der Stürmer A. Groß nach einer wilden Attacke auf Eckert des Feldes verwiesen worden. Hierbei gebietet es die Chronistenpflicht, zu vermerken, Eckert hätte zusammen mit Groß vom Platz gestellt werden müssen, weil er das Vergehen des Gegners mit gleicher Münze heimgezahlt hatte, zu was seinem und der Wormatia Glück aber vom Schiedsrichter Glöckner übersehen worden war. Und um gleich beim Thema zu bleiben: es gab in diesem Kampf, dessen Härte ja bei seiner Bedeutung schlechthin zu verstehen war, Ruppigkeiten, die besser unterblieben wären. Einige Spieler, wir nennen nur, ohne etwa alle Sünder erfaßt zu haben: Hartmann, Kiefer, Eckert hier und F. Groß, A. Groß, Wirsching dort, waren zeitweise von einer unverständlichen Uebernervosität befallen, die dann im Laufe der Zeit aus harmlosen „Sachen" immer heftigere Zusammenstöße werden ließ. Der Schiedsrichter hatte alle Hände voll zu tun, er paßte auch höllisch auf, verwarnte und gab Strafstöße. Wenn er nicht alles gesehen hat, so darf man ihm das kaum zum Vorwurf machen, sondern muß es ihm vielmehr zum Lob anrechnen, daß er den Kampf im letzten Drittel wieder völlig in der Hand hatte und ihn sauber zu Ende pfiff, wobei wir den Spielern gern bescheinigen, daß sie sich zusammennahmen und Glöckner das Leben nicht mehr so schwer machten wie vorher.

In der ersten Halbzeit hatte Worms mehr vom Spiel. Kern, am Vorsonntag verletzt, war durch den Reservisten Schmidt, einen schnellen, schlagsicheren Mann, nicht übel ersetzt, und die Wiedereinstellung Lehrs auf Rechtsaußen an Stelle des etwas langsamen Freese erwies sich als außerordentlich vorteilhaft. Der grandiose Techniker Pohle leitete eine Unzahl von Angriffen ein, welche die anfangs gar nicht kapitalfeste Eintrachtdeckung höllisch in Verlegenheit brachten. So hieb einmal Busam einen donnernden Schuß auf Pohles Vorlage an den Balken und den Rückpraller trat Lehr knapp vorbei. Drüben leistete der heute bienenfleißige A. Schmidt beste Wertarbeit, schickte hier Röll nach vorn und haute dort die zweite Wormser Ecke aus dem eigenen Strafraum. Eine Flanke Lehrs wäre ohne das Dazwischenkommen von Herolds Kopf vielleicht ins Netz gegangen, so stieg der Ball nahezu senkrecht über die Latte. Wirsching kann dann gerade noch von Kiefer gestoppt werden. Das Spiel ist spannend, aufregend, die geschilderten Ruppigkeiten nehmen zu. Künz hinkt vom Platz, Linken spielt schon seit einiger Zeit in der Mitte, zu zaghaft freilich, um sich hier durchsetzen zu können. Dann kommt die Herausstellung von Groß, bei welcher Gelegenheit ein Zuschauer wild wird. Aber der Wormser Ordnungsdienst funktioniert phantastisch: die Arme kräftiger Männer umschnüren den Tobenden wie die Bindfäden ein Postpaket, und „reibungslos" wird er abtransportiert. Zu dieser Zeit stand der Kampf 1:0 für Worms. Denn in der 30. Minute hatte Busam, von Eckert, der ein Zuspiel Herolds aufgenommen hatte, mit einer herrlichen Vorlage bedient, die Kugel mit einem sausenden Schrägschuß ins Netz gejagt: ein Prachttor!

Nach der Pause standen zunächst neun Frankfurter gegen elf Wormser. Dann erschien Künz wieder, hinkend und bandagiert, als A. Schmidt gerade sich den Ball zum Freistoß legte. Das Leder ging hinüber nach links, wo es eben dieser Invalide Künz mit einem garantiert englischen Kopfstoß (mit der Stirn von oben nach unten) in den Kasten hämmerte. Und jetzt legte Eintracht los, daß den verblüfften Wormser und wohl auch Frankfurter Zuschauern die Augen übergingen. Das änderte sich auch nicht, als Wormatia in der 52. Minute durch Lehr nach schönem Totalangriff den zweiten Treffer für seine Farben markierte: Eintracht kämpfte unentwegt weiter, und in der 64. Minute ist es — man soll es kaum für möglich halten! — wiederum der „halbe Mann" Künz, der nach zu kurzer Parade Schwinds die Kugel mit einem Schrägschuß ins Netz jagt. Die Frage nach dem Sieger ist wieder völlig offen. Die Massen sind jetzt wirklich in fieberhafter Spannung. Kaum hat der famose Lindemann, der eine tolle Stopperarbeit zu leisten hatte, Eckert am Schuß gehindert, da saust auf der andern Seite ein Hochschuß des unheimlich spurtschnellen Röll am Torkreuz vorbei. „Hach!" seufzen die Wormser Zuschauer erleichtert auf, und „Himmel, Ast und Zwirn" fluchen sie Minuten drauf, als Eckert ein Zuspiel von Herold ins Aus schickt. Dann kommt die 79. Minute, und mit ihr die Entscheidung: es gibt auf der Linie des Frankfurter Sechzehnmeterraumes wegen Hand einen Freistoß. Nichts nützt die schnell formierte Eintrachtmauer, nichts die hurtige Robinsonade des Tormanns Fischer: Kiefers Scharfschuß fegt knapp über dem Boden in die lange Ecke des mainischen Tores. Das Jubelgeheul der Wormatiaanhänger hat noch nicht einmal seinen Höhepunkt erreicht, als schon längst wieder angespielt ist. Einen kurzen Augenblick lang scheinen die Gäste jetzt zu resignieren, aber Lindemann und A. Schmidt rufen ihre ermatteten Mannen noch einmal zu einem letzten Angriff auf. Bis zum Schlußpfiff müssen die Wormser in der Deckung stets mächtig auf Draht sein, um nicht zum schlimmen Ende noch ein Kuckucksei ins Netz gelegt zu bekommen. Eckert hilft hinten aus und schickt seine Flügel mit langen Vorlagen auf die Reise. A. Schmidt andrerseits jagt mächtige Entlastungsvolleys zugunsten der eigenen Verteidigungslinien nach vorn. Dann ist dieser gewaltige Kampf zu Ende.

Man hat gesehen, daß die Frankfurter heute nicht vom Glück begünstigt waren. Ob sie allerdings, wenn sie komplett geblieben wären, besser abgeschnitten hätten, das steht auf einem ganz andern Blatt. Wie so oft, war es auch diesmal: gerade dann, als die Eintrachtelf durch Verletzung und Feldverweis geschwächt war, erwachte in den dezimierten Plätzen der Kampfgeist! Der nüchternen Kritik aber bleibt nur das Fazit zu ziehen aus dem, was war. Und dann kommt man dazu, den Wormser Sieg als der Gesamtleistung nach verdient zu bezeichnen. Was nichts daran ändert, daß der geschlagene Gegner nach seinen Leistungen in diesem Kampf mit Hochachtung genannt wird.