Wehen Wiesbaden II stand drauf, Wehen Wiesbaden I war drin. Wormatia kauft den Profis vom Drittliga-Vierten den Schneid ab und siegt dank Toren von Matthias Lang und Kevin Wittke mit 2:1.
Als es um die Reform der Regionalligen ging, wehrten sich die Bundesligavereine mit Händen und Füßen erfolgreich dagegen, ihre Zweitvertretungen aus der Regionalliga zu verbannen. Es sei kontraproduktiv für die Ausbildung der jungen Talente im Verein. Und das ist nun mal auch der Sinn und Zweck einer Zweitvertretung, die nicht umsonst auch gerne als U23 bezeichnet wird und bei den Internetauftritten der Vereine oft in der Rubrik Jugend zu finden ist. Allgemeiner gefasst hat die U23 den Auftrag, Spieler an die erste Mannschaft heranzuführen. Das muss nicht zwingend das talentierte, gerade der A-Jugend entwachsene Eigengewächs sein, das kann auch ein monatelang verletzter Bundesligaprofi, der 22jährige Perspektivspieler oder der Dauerbankdrücker der Profis sein. So ist, auch wenn man sich oft darüber ärgert, aus diesem Blickwinkel nichts daran auszusetzen, wenn sich der dauerverletzte Ex-Nationalspieler Christian Pander bei Schalke II wieder herantastet oder die Wormatia-Stürmer in Hoffenheim dem ebenfalls lange verletzten Abwehrprofi Matthias Jaissle gegenüber standen. Zumal gerade Abwehrspieler eher selten zwecks Spielpraxis während eines Bundesligaspiels eingewechselt werden. Ärgerlich wird es erst, wenn plötzlich Spieler auf dem Platz stehen, die Spielpraxis in der Regionalliga eigentlich gar nicht nötig haben. So zuletzt geschehen beim FCK II, wo der österreichische Nationalstürmer Erwin Hoffer den Wuppertaler SV mit einem Dreierpack abschießen durfte, obwohl Hoffer zuvor in elf von dreizehn Bundesligaspielen zum Einsatz kam, davon mehr als die Hälfte in der Startelf. Was sich der SV Wehen Wiesbaden jedoch am vergangenen Sonntag leistete, war eine Steilvorlage für alle Kritiker der Reserven und führte den Sinn einer U23 vollkommen ad absurdum.
Weil das Spiel der Drittligaelf in Babelsberg der Witterung zum Opfer fiel, traten die Profis einfach eine Liga tiefer zum Kellerduell gegen unsere Wormatia an. Da die Ü23-Regel, mit der die Nürnberger jüngst so ihre Probleme hatten, nur für Lizenzvereine, also Clubs der 1. und 2. Bundesliga gilt, war dies sogar regelkonform. Statuten hin oder her, es darf getrost als unverschämt, unsportlich und moralisch fragwürdig bezeichnet werden. Denn für Wehens eigentliche U23-Spieler war die ganze Aktion schlicht ein Schlag ins Gesicht: Während die jungen Talente zuletzt ein wenig im Aufwind waren, Punkte einfahren konnten und motiviert der Begegnung mit Verfolger Wormatia entgegen fieberten, saßen diese nun zähneknirschend auf der Tribüne und mussten zusehen, wie die Profis das Sechs-Punkte-Spiel in den Sand setzten.
Die Gesichter bei den mitgereisten Wormser Fans, die gut und gerne drei Viertel der 350 Zuschauer ausmachten, wurden bei jedem verlesenen Namen der Wehener Aufstellung immer länger. Während Torwart Erik Domaschke und Abwehrspieler Lukas Billick tatsächlich eher in der Regionalliga zuhause sind, gab es für die restlichen neun Namen nur ungläubiges Kopfschütteln. Da stand mit Marco Sailer und Marcel Ziemer der etatmäßige Drittligasturm auf dem Platz, Kapitän Fabian Schönheim verstärkte die Abwehr und im Mittelfeld waren u.a. Alf Mintzel, Steffen Bohl und Nikolas Ledgerwood zu finden. Torjäger Zlatko Janjic, mit acht Treffern erfolgreichster Wehener in der Dritten Liga, traute man sich dann aber doch nicht auflaufen zu lassen er wurde erst in der zweiten Halbzeit eingewechselt… So hatte die Wehener U23 plötzlich einen Altersschnitt von 25 Jahren.
Und die Wormaten? Die ließen sich davon rein gar nicht beeindrucken. Ohne den gesperrten Rudi Hübner, dafür erstmals mit Hoffenheim-Siegtorschütze Christian Grujicic in der Startelf, zeigten sie vom Anpfiff an eine enorme läuferische Leistung und in den verbissen geführten Zweikämpfen, wer auf dem Rasen das Sagen hatte. In der ersten halben Stunde gab es bis auf einen Wittke-Freistoß (16.) zwar keine Torchancen zu beklatschen, offensiv stellten sich die Wormaten aber sichtlich geschickter an als die Gastgeber, die in Bedrängnis oft den Ball auf die Tribüne hauten. Nach einer halben Stunde hätte es Elfmeter geben können, als der für den offensichtlich ernster verletzten Grujicic eingewechselte Mario Cuc im Strafraum eine Grätsche provozierte und prompt gefällt wurde. Die Pfeife blieb jedoch stumm. Erst als sich der VfR in der Schlussphase vor dem Halbzeitpfiff eine kleine Verschnaufpause nahm, kam Wehen gefährlich vor Kevin Knödlers Tor. Eine scharfe Flanke sauste vorbei (36.) und Knödler parierte gegen den frei vor ihm auftauchenden Sailer (40.), weil der in der Szene zuvor länger behandelte Sandro Rösner über den Ball semmelte.
In Halbzeit zwei machte Wehen direkt weiter; Kevin Knödler parierte einen Kopfball aus kurzer Distanz und blieb im Anschluss auch gegen Mintzel Sieger (48.). Zwei Minuten später jedoch bogen die Wormaten auf die Siegerstraße ein und es war vorbei mit der Wehener Herrlichkeit. Vor ein paar Wochen noch verlangte Trainer Borchers auch mal ein Tor von seinen Abwehrspielern, nun tat ihm Matthias Lang den Gefallen. Einen von Lucas Oppermann getretenen Eckball wuchtete Lang per Kopf zur Führung in die Maschen (50.). Die ausgelassene Partystimmung im Gästeblock zog zehn Minuten später noch einmal kräftig an: Cucs Linksflanke rauschte an Freund und Feind vorbei, der einmal mehr bärenstarke Lucas Oppermann war zur Stelle und flankte punktgenau zum freistehenden Wittke, der volley auf 2:0 erhöhte (62.). Wormatia hatte jetzt alles im Griff und spielte auf den dritten Treffer, wurde jedoch immer wieder durch zahlreiche taktische Fouls und harten Körpereinsatz der Gastgeber ausgebremst. Mario Cuc humpelte bald darauf auch angeschlagen vom Feld, für ihn kam nach langer Zeit der wieder genesene Martin Röser zum Einsatz. Die Kräfte ließen langsam nach, Wehen setzte zur Schlussoffensive an und es wurde noch einmal gefährlich für Kevin Knödler. Bravourös lenkte er einen kräftigen Kopfball über die Latte (86.), beim Anschlusstreffer durch Salem kurz darauf war er jedoch machtlos (88.). Eine derartige Totenstille im Stadion nach einem Treffer der Gastgeber hat man auch noch nicht erlebt… Nachdem Danko Boskovic nach wiederholtem Foulspiel mit Gelb-Rot vom Platz gestellt wurde, mussten noch ein paar lange Bälle in den Strafraum überstanden werden, doch dann stand der dritte Sieg in Folge fest. Und wie auch schon in Hoffenheim und gegen Stuttgart war dieser abermals absolut verdient.
Nun steht leider die Winterpause an. Zu gerne hätte Wormatia ihren beeindruckenden Lauf fortgesetzt. Ronny Borchers ist seit zehn Spielen im Amt und hat in dieser Zeit seine Mannschaft zu fünf Siegen und drei Remis geführt. Wer sich die Tabelle der letzten acht Spieltage betrachtet wird verwundert feststellen, dass Wormatia in dieser Variante sogar Tabellenführer ist. Doch auch die normale Tabelle ist es wert, ausgedruckt unterm Weihnachtsbaum zu liegen: Erstmals in der Regionalliga überwintern die Wormaten auf einem Nichtabstiegsplatz. Und das nicht, weil es durch Weidens Rückzug einen Absteiger weniger gibt, sondern weil sich die Mannschaft selbst durch Kampf, Einsatz, Laufbereitschaft und sogar Spielkultur selbst aus dem Tabellenkeller gezogen hat und Woche für Woche wieder zu begeistern weiß. Auf diese Leistung dürfen alle Beteiligten stolz sein und wenn es die Mannschaft schafft, im neuen Jahr dort weiterzumachen, wo sie jetzt aufgehört hat, dann steht sie am Saisonende definitiv über dem Strich.
Wormatia Worms
Knödler – Lang, Stark, Rösner, Krettek – Wittke, Schröer, Böcher, Grujicic (28. Cuc, 80. Röser) – Gollasch (90. Ojigwe), Oppermann.
SV Wehen Wiesbaden II
Domaschke – Billick, Lanzaat, Schönheim, B. Hübner – Mintzel, Ledgerwood (58. Janjic), Fießer (20. Boskovic), Bohl (43. Salem) – Sailer, Ziemer.