WO!-Das Stadtmagazin | Wer warf den ersten Stein?

06.12.2010

Merkwürdige Schuldsuche nach
Ausschreitungen im Wormatia Stadion

Ein Kommentar von Frank Fischer, Fotos: Andreas Stumpf













Beim Heimspiel der Wormatia gegen die Stuttgarter Kickers kam es zu Ausschreitungen – ausgehend von den schwäbischen  Gästefans, die sich als äußerst schlechte Verlierer präsentierten. Wie so oft betreibt man anschließend eine Analyse, wie es dazu kommen konnte. Ergebnis: Alle haben Fehler gemacht, lediglich die Polizei hat keinen einzigen Fehler begangen. Außer, dass man die sich frühzeitig anbahnende Eskalation im Gästeblock völlig falsch eingeschätzt hatte. Davon will Polizeichefin Tina Horn aber nichts wissen und fordert Konsequenzen. Allerdings für die Wormser Fans – und das soll ein Mensch verstehen.


Ja, es hätte wirklich ein wunderbares Fußballfest werden können. Über 2000 Wormser und zahlreiche Schulkinder (dank ­ei­ner Freikarten­­aktion) hatten den Weg ins Stadion gefunden und auch der Gästeblock war zum ersten Mal in dieser Saison mit knapp 200 Kickers-Fans ansehnlich gefüllt. Im Gegensatz jedoch zu zahlreichen Begegnungen in der jüngsten Vergangenheit, bei denen auswärtige Anhänger zugegen waren, hielt sich das Polizeiaufgebot diesmal sehr in Grenzen, was vor dem Hinter­grund, dass seither zwischen beiden Teams keinerlei Rivalität herrschte, auch irgendwie verständlich war. Wie die Wormser Polizeichefin Tina Horn später angab, habe man von den Stuttgarter Kollegen auch keinerlei Hinweise erhalten, dass mit Ausschreitungen zu rechnen gewesen wäre. Und so verlebten die vom Verein beauftragten Sicherheitskräfte, ein paar uniformierte sowie zwei zivile Kräfte der Wormser Polizei bis knapp eine Viertelstunde vor Ende der Partei den erwartet ruhigen Nachmittag.


DIE KICKERS FLIPPEN AUS

Für die Stuttgarter Fans lief an diesem Tag – ebenso wie bei ihrer Mannschaft auf dem Platz – so gar nichts nach Plan. Da fährt man, nachdem man zuvor Eintracht Frankfurt II (4:0) und den FSV Frankfurt (7:2) vom Platz gefegt hatte, zum Tabellenletzten und rechnet mit einem lockeren Auswärtssieg mit feucht-fröhlicher Heimfahrt und bekommt stattdessen von einem haushoch überlegenen Schlusslicht ein 3:0 eingeschenkt. Dass dies Frust auslöst, ist nachvollziehbar. Nicht nachvollziehbar ist jedoch, dass nach dem 2:0-Führungstreffer für die Wormatia ein gutes Dutzend Stuttgarter den Zaun ihres Blockes überkletterten und die Aschenbahn stürmten, weil sie sich von zehnjährigen Balljungen provoziert gefühlt hatten, die ihnen im Anschluss an Oppermanns Tor den Stinkefinger gezeigt haben sollen. Die Sicherheitskräfte von SES-Security hatten in der Folge ihre liebe Mühe, die Stuttgarter wieder einzufangen (siehe Bild 1).

Von der Polizei war während dieser Ausschreitungen rein gar nichts zu sehen. Erst als sich die Situation etwas beruhigt hatte und alle Krawallbrüder wieder von den Sicherheitskräften eingefangen waren, kamen gemächlichen Schrittes drei Beamte der örtlichen Polizei. Aber nicht etwa, um die Rädelsführer der Stuttgarter in Gewahrsam zu nehmen oder deren Personalien zu erfassen, sondern um diese anzuhalten, sich doch wieder zurück in ihren Gästeblock zu begeben. Nebenbei bemerkt: So etwas gibt es in keinem Fußball­stadion, dass Gästefans einen Platz stürmen und anschließend, ohne jegliche Sanktionen, wieder auf gleichem Weg zurückklettern  dürfen. Ein paar Tage später gab die Wormser Polizeichefin Tina Horn in der WZ an, „nur vorsichtshalber habe man überhaupt zehn uni­formierte Polizisten und zwei Zivilbeamte ins Stadion geschickt.“

Wie auf Bild Nr. 2 eindeutig zu erkennen ist, waren wenige Minuten nach Ausbruch des Platzsturms lediglich drei uniformierte Beamten am Tatort, wo die anderen sieben zu diesem Zeitpunkt gewesen sein sollen, ist nicht bekannt. Am Tatort der Ausschreitungen jedenfalls nicht. Zudem gab besagte Polizeichefin zu bedenken, dass die „einheimischen Ultras-Anhänger gerne und lautstark provozieren“. Damit hat sie sogar Recht, denn im Anschluss an den versuchten Platzsturm der offensichtlich schlechten Verlierer skandierten die Wormser Fans ein unüberhörbares „Stuttgarter – Arschlöcher“ in das weite Runde des Wormatia Stadions. Allerdings erst, nachdem die Kickers Fans sich in einem fremden Stadion wie die Wildschweine aufgeführt hatten. Und Entschuldigung, aber wer aus Frust über einen Gegentreffer kleine
Kinder verprügeln will, für den fällt auch mir spontan keine passendere Bezeichnung als „Arschloch“ ein.

DER ENTSCHEIDENDE FEHLER
Man kann den Wormser Fans in diesem Zusammenhang zwar vorwerfen, die Stuttgarter verbal attackiert zu haben, jedoch eine handgreifliche Konfrontation suchte keiner der Ultras. Dabei wäre es zu diesem Zeitpunkt ein Leichtes gewesen, von der Vortribüne aus, wo die Supporters seit einigen Spielen wieder stehen, die bauchhohe Absperrung zu überwinden, ebenfalls die Aschenbahn zu stürmen und den Schwaben entgegen zu rennen. Von den Sicherheitskräften wäre man sicherlich nicht aufgehalten worden, denn die waren ja gerade mit fast allen Mann auf der anderen Seite mit den Stuttgartern beschäftigt. Aber warum sollten die Wormser Fans ausflippen? Die kommentierten das Verhalten der Gästefans eher mit einem Kopfschütteln, schließlich hatte die Heimmannschaft in einem begeisternden Spiel gerade die Vorentscheidung erzielt.

Der entscheidende Fehler ist jedoch genau zu diesem
Zeitpunkt den Beamten der Wormser Polizei unterlaufen.


Denn spätestens jetzt, nachdem die Stuttgarter zum ersten Mal auffällig geworden waren, hätte man Verstärkung rufen müssen, weil zu befürchten stand, dass die völlig gefrusteten Stuttgarter ihren Block nicht problemlos verlassen würden. Zudem hatte das Verhalten einiger Anhänger eindeutige Anzeichen dafür geliefert, dass eben nicht nur „friedliche Fans“ mitgereist waren. Zu allem Überdruss erzielte wenige Minuten später der Wormser Kevin Wittke auch noch das 3:0, was die Stimmung auf beiden Seiten noch mehr steigerte: bei den einen in Euphorie und Schadenfreude, bei den anderen in noch größeren Frust.

Kaum war der Schlusspfiff erfolgt, musste zunächst das Stuttgarter Team die verbale Schelte seiner Anhänger aushalten, ehe diese dann anfingen, den eigenen Block auseinander zu nehmen und mit Latten, Steinen und Stangen zu werfen. Zudem begannen auch schon die ersten, die Zäune zur Gegengerade zu überwinden (siehe Bild 3). Das ist nicht etwa dort, wo der von der Polizei als „gefährlich“ eingestufte harte Kern der Wormatia-Fans steht, sondern auf dieser Seite standen Rentner, normale Fans und vor allem die Schüler mit ihren Freikarten. Übrigens: Ginge es nach der Wormser Polizeichefin Horn, würde man die Wormser Supporters am liebsten wieder genau dorthin – nämlich auf die Gegengerade – verfrachten. Zum Glück hatte Frau Horn diese Idee nicht vor dem Spiel gegen die Stuttgarter Kickers, denn dann wäre die Situation tatsächlich eskaliert, da zwischen Gästeblock und Gegengerade lediglich
noch ein wenige Meter breiter Puffer besteht, in dem bei den „Rot-Spielen“ ein paar Dutzend Polizisten stehen. Aber da dieser Puffer diesmal leer war, hätten die beiden Fan­gruppen relativ mühelos aufeinander prallen können…

KONFRONTATIONEN NACH DEM SPIEL
Warum der Polizeichefin Horn der Wechsel der Supporters von der Gegengerade auf die Vortribüne ein Dorn im Auge ist, begründete sie in der WZ mit Sicherheitsmängeln, da man von dem neuen (alten) Standort aus relativ einfach – quasi „hinten rum“ – zum Gästeblock gelangt. An besagtem Samstag wurde eine Konfrontation noch dadurch „erleichtert“, dass hinter dem Gästeblock gerade ein Jugendspiel stattfand, weshalb das Tor zum Kleinspielfeld offen stand und sich nach Spielschluss die Sicherheitskräfte, ein paar Wormser und die nur durch einen Zaun getrennten Stuttgarter direkt gegenüber standen. Hierbei soll laut Augenzeugenberichten eine verschlossene Tür des Stuttgarter Blocks in Richtung des Kleinspielfeldes durch den Druck aufgegangen sein, weshalb es für einige Sekunden zu Handgreiflichkeiten zwischen einer Handvoll Stuttgarter und ebenso vielen Wormsern gekommen sein soll. Wie bereits während des Spiels hatten die Männer von SES-Security mit Unterstützung einiger herbeieilender Polizisten die Situation relativ schnell wieder im Griff und drängten die Schwaben zurück in ihren Block. Spätestens jetzt wurden die Forderungen der durch die Tumulte angelockten Schaulustigen, die gerade auf dem Weg zur Pressekonferenz oder ins Vereinsheim waren, immer lauter:

„Jetzt ruft doch endlich mal Verstärkung!“

Spätestens nach dem Platzsturm eine Viertelstunde vor Schluss hatten sowieso die meisten der Zweitausend im Stadion fest damit gerechnet, dass nun eine grüne Übermacht auftauchen würde, um für Ordnung zu sorgen. In Internetfanforen der Kickers machte man sich anschließend über das „provinzielle Verhalten einiger Bauern-Sheriffs“ lustig. So will ein Zuschauer gesehen haben, dass ein Wormser Polizeiauto mindestens drei Mal am Stadioneingang vorbei gerauscht sei, ehe man Passanten gefragt hätte, wo genau denn „hinten“ sei, wo die Tumulte in vollem Gange waren. Tatsächlich kam knapp 20 Minuten nach Spielschluss ein einziges (!) Polizeiauto gefahren. Inhalt: Zwei Beamte, offensichtlich Streifenpolizisten. Da aus dem Gästeblock immer noch Gegenstände wie Latten, Steine oder Paletten flogen (die laut Internetberichten der Stuttgarter angeblich zuvor die Wormser „Fans“ hineingeworfen hatten), schien man erst jetzt die erforder­liche Verstärkung anzufordern. Und so dauerte es bis über eine Stunde (!)
nach dem Schlusspfiff, ehe man die Stuttgarter endlich mit Unterstützung einer ausreichenden Anzahl an Polizisten aus dem Block in ihre Fanbusse führen konnte. Hierbei soll es dann – ohne Beteiligung von Sicherheitskräften oder Wormser Fans – abermals zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Beamten und einigen schwäbischen Schlachtenbummlern gekommen sein.

DIE FRAGE NACH DER SCHULD
Nur wenige Tage später verurteilten die Verantwortlichen der Stuttgarter Kickers in einer Pressemitteilung die Ausschreitungen ihrer Anhänger auf das Schärfste. Gleichwohl prangerte der Verein die „einseitige Berichterstattung in den Wormser Medien“ an und zeigte sich „bestürzt über das Verhalten des örtlichen Sicherheitsdienstes und der Polizei, das nicht zur Deeskalation beigetragen hat.“ Der Verein weiter: „Hierbei ist es zu massiven Fehlern im Umgang mit der Situation gekommen“. Von eigener Schuld möchte die Wormser Polizeichefin Horn aber nichts wissen und gab in der WZ an, dass der Polizei kein Fehler unterlaufen sei und man habe von den Stuttgarter Kollegen keinen Hinweis erhalten, dass mit Ausschreitungen zu rechnen gewesen wäre. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Wie man wenige Tage später nebenbei einräumen musste, waren ­mittlerweile Hinweise aufgetaucht, dass offensichtlich auch Anhänger vom  VfB Stuttgart und sogar vom befreundeten „Linzer AK“ aus Österreich mit nach Worms gefahren waren, um ganz offensichtlich für Krawalle zu sorgen. Dann hätten die Stuttgarter Kollegen allerdings genauso gepennt wie die szenekundigen Wormser Beamten.
Sinnvolle Folgerungen aus den Vorkommnissen

Ganz klar: Aus den gemachten Fehlern müssen alle Beteiligten lernen, damit sich so etwas nicht wiederholt. Eine Maßnahme wäre zum Beispiel, das Tor zum Kleinspielfeld grundsätzlich verschlossen zu halten, damit der Puffer zwischen Gästeblock und eventuell anrückenden Wormsern gewahrt bleibt. Eine sinnvolle Maßnahme wäre auch eine Erhöhung der Sicherheitskräfte, gerade in Spielen, wo die Polizei nicht so stark vertreten ist. Und ein dritter Punkt wäre sicherlich, die vor einiger Zeit installierte Überwachungskamera vor dem Gästeblock auch tatsächlich mal zu benutzen. Die Steuerung der Anlage erfolgt aus einem kleinen Zimmer in der Nähe der Sprecherkabine und ist grundsätzlich Sache der Polizei. Eine In­betriebnahme hätte nicht nur den Vorteil, dass man anhand der Aufnahmen die Rädelsführer unter den Gästefans ausmachen,  sondern ebenso relativ frühzeitig auf sich anbahnende Konflikte  reagieren könnte. In einem Gespräch mit unserem Magazin erklärte
sich der Sicherheitsbeauftragte des Vereins, Jan Donner, sogar dazu bereit, die Kamera von Verantwortlichen des Vereins bedienen zu lassen, wenn dies von offizieller Seite gewünscht werde.

EINE ÜBERRASCHENDE WENDE
Nach einem Runden Tisch aller Beteiligten kam dann die große Überraschung, denn als wichtigste Maßnahme wurde von der örtlichen Polizei angeordnet, dass die Sups ihren Platz auf der Vor­tribüne nur behalten dürfen, wenn zusätzliche und höhere Zäune angebracht werden. Somit soll verhindert werden, dass die Sups unkontrolliert mit gegnerischen Fans in Kontakt treten können. Den Besuchern des Spiels muss dieses Ergebnis der Krisensitzung wie die reinste Farce vorkommen, weil man damit das Verursacher-Prinzip ad absurdum führt und sich anscheinend partout nicht eingestehen will, dass man vielleicht selbst nicht ganz glücklich gehandelt hat. Denn nochmal: Zwar haben sich alle – auch einige wenige Wormser „Fans“ – nicht gerade mit Ruhm bekleckert, aber der entscheidende Fehler basierte auf einer offensichtlichen Fehleinschätzung der Situation durch die anwesenden Polizisten beim erstmaligen Ausbruch der Ausschreitungen. Wenn man stattdessen die Fans auf der Vortribüne für die Krawallen anderer bestraft, dann zieht man schlichtweg die falschen Schlüsse aus den Vorgängen.

Wie der zweite Vorsitzende Jan Donner uns gegenüber noch einmal betonte, möchte man die Fans auf keinen Fall wieder von der Vortribüne weg haben, da dies unüberhörbar förderlich für die Stimmung im Stadion sei. Zudem könne man es einem Besucher ja nicht verbieten, eine Karte für die Vortribüne zu kaufen. Trotzdem will man bei der Polizei hart bleiben: Höhere Zäune sollen her! Als Augenzeuge der Geschehnisse vom 20. November im ­Wormatia Stadion gewinnt man den Eindruck, dass es längst nicht mehr darum geht, die von allen gemachten Fehler zukünftig zu vermeiden, sondern dass man es hierbei nur noch mit einer reinen Machtdemonstration zu tun hat. Letztere wäre einer vernünftigen Lösung sicherlich nicht zuträglich. Und übrigens: sich ab und zu mal Fehler eingestehen, kann mitunter sogar menschlich wirken.