Kicker Sportmagazin: Frühling im Wormatia-Stadion

04.04.1933

Erstaunlicher als das Schlußergebnis ist der Halbzeitstand von 3:0. Ich weiß nicht, wie lange es her ist, seit der Eintracht etwas Aehnliches passiert ist. Es muß aber schon sehr lange her sein. Es gibt noch mehr Erstaunliches. Eintracht kam bärenstark. Sie brachte: Schmitt; Schütz, Stubb; Gramlich, Leis, Dietrich; Trumpler, Behning, Ehmer, Mantel, Lindner. Wie wollte Wormatia bestehen gegen dieses Team in dem sich fünf Internationale befanden? Sie bestand glänzend. Im Fußball kommt es immer anders. Auf dem Papier waren die Aussichten hoffnungslos. Immer noch fehlte Völker und L. Müller. In der Verteidigung stand H. Müller. Ein Mann aus der Reserve. Er hatte mit einem gewissen Lampenfieber zu kämpfen. Querschläge passierten ihm. Dann fand er sich. Er wurde immer besser. Man wird ein weiteres Spiel abwarten müssen, dann läßt sich sagen, ob er mit Closet „zusammenwachsen" wird. Die körperlichen Voraussetzungen hat er.

Das Spielfeld staubte. Kräftiger Aprilwind blies drüber hinweg. Wormatia ging „mit wehenden Fahnen" ins Gefecht. Der Wirbelwind Fath brauste heran, schob den Ball hin und her und schließlich unehrerbietig an Schütz vorbei, paßte zur Mitte, Gölz stand parat und jagte ein Ding von unheimlicher Wucht unters Tordach, als wollt' er's abdecken. Die Eintracht erholte sich von diesem Schreck im ganzen Spiel nicht mehr. Wormatia gewann das moralische Uebergewicht. Es hört sich vielleicht lächerlich an, aber es ist wirklich so gewesen: sie kombinierte sogar besser. Voraus war ihr der Gast nur noch in der Schnelligkeit. Da diese Eigenschaft aber allein blieb, da sich ihr weder Schußgewalt, noch kluges Stellungsspiel und gescheites Abspiel zugesellten, mußte kommen, was kam: Feuer und Tempo, heißer Siegeswille und größte Aufopferung des Einzelnen siegten über ein blasiert wirkendes Thema. Dieser Sieg war verdient. Zählt man die Schüsse aufs Tor, ist er bestimmt zu niedrig ausgefallen. Zweimal schon schlug Wormatia daheim die Eintracht. So verdient noch nie.

Gerechtigkeit ist des Kritikers Zierde. Es hätte vielleicht auch anders kommen können. Als der Kampf noch 1:0 stand, war Ehmer noch nicht im Bild. Sonst wäre ihm kaum passiert, daß er wenige Meter vorm Kasten den Ball nicht über die Linie des völlig verwaisten Tores brachte, sondern ihn meterbreit danebenhieb. Alle guten Geister waren beim Platzverein. Er spielte sich in eine Form, die hellste Begeisterung unter dem Publikum auslöste und vom Publikum wieder strömte auf die Mannschaft jenes Fluidum über, das sie zu immer größeren Leistungen anspornte. Die Verteidigung hatte sich gefunden. Die Frankfurter machten immer noch den Fehler, Winkler stark abzudecken und Fath laufen zu lassen. Das brach ihnen in der 28. Minute das Genick. Wieder schickte der Wormser den Ball schnurgrad auf den Elfmeterpunkt, aber während Schmitt aus dem Tor raste, war der Rechtsaußen Bitter schon herangestürmt und kam um eine Sekunde früher. Langsam ließ er, während Schmitt danebenhieb, den Ball ins Tor rollen. Das Tempo verschärfte sich noch. Von Mannschaftsgeist bei Eintracht keine Spur. Hart und zügig ging Worms immer wieder los, Fath wurde vorbildlich eingesetzt, vier Minuten vor Schluß der ersten Hälfte fiel die endgültige Entscheidung. Stubb stoppte sich in nächster Tornähe das Leder zurecht, gemächlich, als sei keine Gefahr im Verzug, schließlich verlor er den Ball, Bitter erhielt ihn, sah nur noch den Wächter vor sich, stand noch mit dem Rücken zum Tor, drehte sich und jagte aus ganz kurzer Entfernung unhaltbar das 3:0 ins Netz.

Schon vor Seitenwechsel hatte Ehmer mit Behning getauscht. Nach der Pause wechselten Mantel und Dietrich ebenfalls die Plätze. Umstellen nützt so gut wie nie. Der Umschwung blieb aus. Wormatia war sogar in den ersten 20 Minuten nach der Halbzeit so gut wie nie mehr in diesem Spiel. Sie schoß auf Deuwel komm raus. Doch Frankfurts Torwart wehrte gut und seine Vorderleute fanden sich allmählich. Beide Parteien hielten den Kampf offen. Worms dachte nicht an mauern. Es wäre bei diesem Stand auch Unsinn gewesen. Eintrachts Vorstöße, bei denen jetzt endlich auch die Flügel mehr eingesetzt wurden, fehlte letzte Wucht. Der Kampf wurde härter. Einmal mußte Fath kurze Zeit vom Feld, einmal Trumpler. Die allgemeine Anständigkeit des Spieles litt nicht darunter. Der Schiedsrichter Glöckner-Pirmasens war ein kluger Psychologe und immer auf Ballhöhe. Das macht ein paar kleine Fehler reichlich wett.

Die Erklärung des Resultates? Zwei Voraussetzungen trafen sich: die Ueberform Wormatias ließ Eintracht nicht zur Entwicklung kommen; die Unterform der Eintracht begünstigte den Ansturm der Wormser. Je nach der Anhängerschaft wird man lieber zu dieser oder zu jener Theorie greifen Der Wormser Jubel war berechtigt. Die Frankfurter Trauer auch. Hingabe und Opferbereitschaft haben auch im Fußball ihr Gewicht, Technik allein ist nichts. Die Dorftheaterkritiker schreiben gewöhnlich: „Einen der Mitwirkenden hervorheben, hieße den anderen herabsetzen." Das Sätzlein läßt sich auf Wormatia anwenden „Voll und ganz", wie die schöne Wendung heißt. Für Frankfurt aber läßt sich nur zweierlei entschuldigend sagen. Einmal „liegt" der Elf Wormatia nie. Auch in der Mainstadt hat sie immer ihre liebe Last mit ihr. Zweitens: der erste Treffer nach 70 Sekunden demoralisierte die Mannschaft. Ob das einer Klasseelf passieren darf, ist eine zweite Frage. Wirklich gut war außer Schmitt kein Spieler. Nach der Pause imponierten die Seitenläufer. Leis war nie im Bild. Lindner war nur ein Abglanz. Die Verteidigung besann sich erst nach der Pause auf ihren großen Namen. Der Endspurt der letzten zehn Minuten wurde durch eine Bombe Ehmers auf hervorragende Flanke Trumplers eingeleitet. Er kam zu spät, um Erfolg zu haben.      Richard Kirn