Rückblende auf Dezember 2013: Nach dem 0:3 bei Eintracht Frankfurt II geht der VfR Wormatia mit kümmerlichen 13 Punkten aus 19 Spielen in die Winterpause. Nur zwölf Monate später hat die völlig neuformierte Mannschaft zum gleichen Zeitpunkt bereits 33 Zähler auf der Habenseite. Zwischen diesen beiden Extremen ist eine ganze Menge passiert: sportlicher Abstieg, Rettung dank glücklicher Umstände, Neustart mit einem stark verjüngten Team, fast sensationelle Erfolge und der Sprung in nie erwartete Tabellenhöhen. Über diese ebenso kurze wie ereignisreiche Zeitspanne hat die Wormatia-Redaktion zum Jahresfinale 2014 mit dem Sportlichen Leiter Marcel Gebhardt gesprochen.
Wormatia-Redaktion: Hallo Marcel, wie würdest du deinen Gemütszustand kurz vor Weihnachten 2013 und heute beschreiben?
Marcel Gebhardt: Die Situation vor einem Jahr war total deprimierend – für die Spieler, die Trainer, den Vorstand, die Fans und natürlich auch für mich selbst. Das ist jetzt vollkommen anders. Trotz der 1:2-Niederlage im letzten Spiel beim souveränen Spitzenreiter Kickers Offenbach gehen wir alle mit einem sehr guten Gefühl und mehr als zufrieden in die verdiente Winterpause.
Wormatia-Redaktion: Lassen sich solche gravierenden Leistungsunterschiede rational erklären?
Marcel Gebhardt: Letztes Jahr haben wir eine Mannschaft zusammengestellt, die auch von der Konkurrenz zum engeren Favoritenkreis gerechnet wurde. Die Erwartungshaltung war entsprechend groß, auch von den Spielern an sich selbst. Als dann in den ersten Partien mehrere fast sichere Siege in letzter Minute noch vergeigt wurden, stieg der Druck von außen mehr und mehr an und im gleichen Maße wuchs auch die Verunsicherung innerhalb des Teams. Letztlich hat die Mannschaft diesen Anforderungen einfach nicht Stand halten können. Unterm Strich bedeutet das aber nicht, dass wir in der vergangenen Saison alles falsch und im laufenden Spieljahr alles richtig gemacht haben. Oftmals sind es nur Nuancen, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.
Wormatia-Redaktion: Aber wenn es mit einem neuformierten und deutlich verjüngten Team plötzlich so viel besser läuft, muss es dafür doch auch Gründe geben?
Marcel Gebhardt: Ja, natürlich. Nach der großen Enttäuschung vom Vorjahr hat niemand etwas von uns erwartet, zumal wir mit einem reduzierten Sport-Etat auskommen mussten. Die Ausgangsposition war damit eine gänzlich andere. Die neu zusammengestellte Mannschaft hatte keinerlei Druck von innen und außen, sie wurde vor Saisonbeginn von vielen schon als Absteiger Nummer eins gehandelt. Gerade diese negative Einschätzung hat die Spieler jedoch besonders motiviert. Sie wollten den Kritikern und Pessimisten beweisen, dass sie mit ihren Prognosen daneben liegen.
Wormatia-Redaktion: Allerdings fiel der Saisonstart mit der 1:3-Heimniederlage gegen die U23 des FCK wenig verheißungsvoll aus
Marcel Gebhardt: Vom Ergebnis her, ja! Aber trotz der recht unglücklichen Niederlage hat die Mannschaft zum Auftakt eine kämpferisch überzeugende und auch spielerisch ansprechende Leistung gezeigt. Vor allem aber hat sich die Truppe von der ersten Minute an als geschlossene Einheit präsentiert und ist dafür nach dem Schlusspfiff auch mit verdientem Applaus verabschiedet worden. Nur vier Tage später hat sich das Team mit dem 2:1 in Trier nach toller kämpferischer Leistung selbst belohnt. Dieser Sieg, der erste nach 28 erfolglosen Jahren im Mosel-Stadion, ist rückblickend für mich das Schlüsselerlebnis für den weiteren Saisonverlauf gewesen. Das 2:1 hat den Spielern den Glauben an sich selbst gegeben, dass sie auch gegen etablierte Spitzenteams der Regionalliga nicht nur mithalten, sondern auch gewinnen können. Diese Erkenntnis war ungeheuer wichtig für das Selbstbewusstsein jedes einzelnen. Und sie bildete die Basis für eine fast sensationelle Vorrunde.
Wormatia-Redaktion: Wie groß ist der Anteil von Trainer Sascha Eller an dieser überraschenden Erfolgsgeschichte?
Marcel Gebhardt: Ich habe großen Respekt vor der Leistung von Sascha Eller. Aus einer neu zusammengestellten Mannschaft so schnell eine homogene Einheit zu formen, dass ist nicht selbstverständlich. Natürlich haben auch die beiden Cos Steven Jones und Simon Eller sowie Torwart-Trainer Christian Adam einen großen Anteil daran. Dass unser Cheftrainer nun, um den Regeln des Verbandes zu entsprechen, umgehend seinen A-Schein machen muss, stellt weder für ihn noch für den Verein ein Problem dar. Er wird im Januar, Februar und März jeweils für eine Woche die Schulbank in der Sportschule Hennef drücken. Während seiner Abwesenheit läuft der Übungsbetrieb unter Leitung des übrigen Trainerteams ganz normal weiter.
Wormatia-Redaktion: Die Mannschaft harmonierte von Anfang erstaunlich gut. Wurden diesmal die richtigen Spieler verpflichtet?
Marcel Gebhardt: Ich glaube, wir haben die richtigen Rückschlüsse aus der verkorksten vergangenen Saison gezogen. Die Verpflichtung von Florian Treske war sicher eine Art Glücksgriff – nicht nur wegen seiner bisher 12 Saisontore, sondern weil er als Führungsspieler auch sofort Verantwortung übernahm. Aber das gilt genauso für unsere neuen Innenverteidiger Benjamin Maas und Kristian Maslanka. Sie bilden heute zusammen mit Benjamin Himmel, Alan Stulin, Eugen Gopko und Johni Zinram, die wir alle ganz bewusst gehalten haben, die solide Basis für eine Mannschaft, in der sich Talente aus den eigenen Reihen wie Sandro Loechelt bestens weiterentwickeln können.
Wormatia-Redaktion: Das klingt hoffnungsvoll. Aber mit dem Erfolg wachsen auch die Begehrlichkeiten der Konkurrenz. Muss man befürchten, dass schon zur Winterpause der eine oder andere Spieler abgeworben wird?
Marcel Gebhardt: Nach einer so starken Vorrunde möchten wir natürlich keinen einzigen Spieler gehen lassen. Aber wenn Angebote von höherklassigen Proficlubs kommen, können wir finanziell sicher nicht dagegen halten. Bisher gibt es jedoch keinerlei Hinweise auf irgendwelche Interessenten. Andererseits sind wir überzeugt davon, dass uns diesmal im Gegensatz zu den Vorjahren kein Spieler vorzeitig verlassen möchte. Diese Situation ist mit Sicherheit auch darauf zurückzuführen, dass unsere Sponsoren trotz der Katastrophen-Saison 2013/14 bei der Stange geblieben sind, denn Sie schaffen die Basis für die Erfolge im gesamten Verein. Und das haben wir in allererster Linie dem starken Engagement unseres Vorsitzenden Tim Brauer zu verdanken.
Wormatia-Redaktion: Wenn keiner geht, bedeutet das im Umkehrschluss doch auch, dass keine Neuverpflichtungen geplant sind?
Marcel Gebhardt: Wir planen im Moment keine Neuverpflichtungen, denn wir sind absolut zufrieden mit unserem derzeitigen Kader. Aber der Fußball ist so schnelllebig, dass ich nie was ausschließen würde. Wir dürfen uns auch nicht vom aktuellen Tabellenbild täuschen lassen: Wir sind zwar mit 33 Punkten Fünfter, aber bis zum ersten Abstiegsplatz sind es nur zehn Punkte Differenz. Und die Konkurrenz nimmt Wormatia inzwischen ganz anders wahr, die Gegner treten spieltaktisch gegen uns ganz anders auf, wie die letzten Spiele gezeigt haben. Ich erwarte deshalb eine heiße Rückrunde, in der wir bestätigen müssen, dass wir zu Recht so weit vorne stehen. Das ist die größte Herausforderung in den restlichen Rückrundenspielen.
Wormatia-Redaktion: Die einzige echte Enttäuschung im bisherigen Saisonverlauf war sicher das unnötig frühe Pokal-Aus. Wurde da nicht eine große Chance vertan?
Marcel Gebhardt: Das war schon extrem ärgerlich für alle, und zwar nicht nur aus finanziellen Gründen. Natürlich hätten wir die Einnahmen bei Erreichen der DFB-Hauptrunde sehr gut gebrauchen können. Zugleich haben aber auch die Spieler die vielleicht einmalige Möglichkeit verpasst, sich einem Millionen-Publikum am Bildschirm zu präsentieren. Aber so ist eben Fußball, und das Scheitern an vermeintlich leichten Gegnern ist auch schon viel prominenteren Klubs passiert.
Wormatia-Redaktion: 40 Punkte reichen normalerweise zum Klassenerhalt, also fehlen nur noch 7 Zähler aus den verbleibenden 14 Begegnungen. Da dürfte eigentlich nichts mehr passieren. Werden somit schon jetzt die Weichen für kommende Saison gestellt?
Marcel Gebhardt: Ich denke wir brauchen 45 Punkte um ganz sicher zu sein! Was die Kaderplanung für die nächste Runde betrifft, wollen wir natürlich versuchen die Mannschaft weitestgehend zusammenzuhalten und kontinuierlich weiterzuentwickeln. Das wird aufgrund unserer begrenzten Finanzmittel und wirtschaftlich stärkerer Konkurrenten nicht einfach. Denn für uns gilt als Maxime, dass die finanzielle Machbarkeit absoluten Vorrang vor allem anderen hat. Wir werden nicht um jeden Preis Spieler halten oder holen. Da ist es sicher hilfreich, einen soliden eigenen Unterbau zu haben. Unsere U23 hat sich unter dem neuen Trainer Niels Magin sehr rasch überaus positiv entwickelt. Ähnliches gilt auch für die A-Junioren. Insgesamt können wir auf unsere Nachwuchsarbeit sehr stolz sein.
Wormatia-Redaktion: Am 19. Januar beginnt die Vorbereitung auf die restliche Runde – mit einem unveränderten Kader?
Marcel Gebhardt: Obwohl keine Zukäufe geplant sind, erwarte ich zum Trainingsauftakt zwei Neue: Sascha Wolfert, der seine Schultereckgelenks-Sprengung völlig auskuriert hat und es kaum abwarten kann, endlich wieder aufzulaufen, sowie Max Mehring, dem alle die Daumen drücken, dass er nach langer, langer Leidenszeit endlich wieder schmerzfrei mitmachen kann.
Wormatia-Redaktion: Marcel, wir danken dir für dieses sehr offene und ausführliche Gespräch.
Das Interview führte Frank Beier